Kirchenasyl — ein Recht auf zivilen Ungehorsam?
Innenminister de Maizière hat eine Debatte um Recht und Moral neu angeheizt.
Düssseldorf. Darf die Kirche Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus bei sich aufnehmen? Ist ein solches Kirchenasyl gerechtfertigt? Die Diskussion darüber hat Bundesinnenminister Thomas De Maizière vor ein paar Tagen mit einer Bemerkung losgetreten.
Der CDU-Politiker sagte, es gehe nicht, dass eine Institution sage: Ich entscheide jetzt mal, mich über das Recht zu setzen. Er wählte zum Vergleich ein anderes Beispiel: „Die Scharia ist auch eine Art Gesetz für Muslime. Sie kann aber in keinem Fall über deutschen Gesetzen stehen.“
Kirchenasyl — dahinter stehen Fälle wie der des 19-jährigen Abdi aus Somalia. Er sollte abgeschoben werden, tauchte unter. Und bekam in Remscheid Kirchenasyl. Der Pfarrer ist sich sicher, dass dem Jungen Unrecht widerfahren sei, die Zeit in der Kirche solle den Behörden die Möglichkeit geben, ihren Fehler wiedergutzumachen. In evangelischen wie auch in katholischen Pfarren werden Flüchtlinge in kirchlichen Gemeindeeinrichtungen geschützt.
Wie notwendig dieser Schutz sei, begründen die Kirchen auch damit, dass in vier von fünf dieser Fälle den Flüchtlingen später ein Aufenthaltsrecht zugesprochen würden. Hätten die Kirchen nicht geholfen, wären Tatsachen geschaffen worden. Abschiebung und ein ungewisses Schicksal wären nicht mehr rückgängig zu machen gewesen.
Kritiker sagen, dass Kirchengemeinden damit ihr eigenes Verfahren an die Stelle des staatlichen Asylverfahrens setzen. Wer politisch verfolgt ist und daher einen Asylanspruch hat, müssten staatliche Stellen — Behörden, Gerichte — entscheiden. Nicht aber ein einzelner Pfarrer oder eine Kirchengemeinde. Auch die Kirchen wissen, dass es keine sattelfeste Rechtsgrundlage für das Kirchenasyl gibt. Sie berufen sich auf übergeordnete Werte wie die Glaubensfreiheit, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, auf die Gewissensfreiheit oder auch das Recht auf zivilen Ungehorsam.
Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, ärgerte sich im Interview mit dem Deutschlandradio über den vom Innenminister gewählten Vergleich mit der Scharia. Beim Kirchenasyl gehe es nicht um ein „Recht neben dem Recht“, sondern darum, das geltende Recht im Sinne einer Güterabwägung noch mal herauszufordern. Und noch einmal zu prüfen, ob der Anspruch, die Grundrechte zu bewahren, auch wirklich gewährleistet ist.
Neben dem Vorwurf von Kritikern, dass sich die Kirche selbst anmaße, welchen Einzelfall sie an sich ziehe und welchen nicht (Stichwort Willkür), bleibt eine andere grundsätzliche Frage: Gesteht man der evangelischen und katholischen Kirche ein solches Recht zu — mit welchem Argument könnte man es anderen Glaubensgemeinschaften verweigern? Muslimischen Gemeinden etwa? Dürfen sich dann auch Scientology oder die Zeugen Jehovas darauf berufen und Flüchtlingen Kirchenasyl gewähren?