Koalitionen: Rot-Rot-Grün auch im Bund?

Berlin lässt politische Linke von "Breilibü" träumen Neue Hauptstadt-Koalition und Gauck-Nachfolge könnten Probelauf für Rot-Rot-Grün im Bund werden.

Das Ende der rot-schwarzen Koalition und die immer wahrscheinlicher werdende rot-grün-rote Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus - Vorzeichen für die Bundesebene?

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Berlin. Das Berliner Wahlergebnis hat unversehens die Debatte um eine Alternative zur Großen Koalition nach der Bundestagswahl 2017 eröffnet: Rot-Rot-Grün. Tatsächlich gibt es zwischen SPD, Grünen und Linken schon viele Gespräche auf unterschiedlichen Führungsebenen.

Politikinsider lieben Kürzel, weshalb die neue Konstellation, die die "Groko" (Große Koalition) ablösen könnte, auch "Breilibü" (Breites Linkes Bündnis) oder "R2G" genannte wird. Schon gibt es eine Website www.rot2gruen.de, die höchst professionell für dieses Projekt wirbt, samt "R2G"-App fürs Handy. Eine Studenteninitiative mit Sitz in Leipzig steckt dahinter.

Doch war die Idee schon vor der Berliner Wahl keine Sache linker Träumer mehr. SPD-Chef Sigmar Gabriel selbst befeuerte sie in diesem Sommer, als er wie beiläufig in einem Zeitungs-Gastbeitrag formulierte: "In Europa müssen progressive Parteien und Bewegungen füreinander bündnisbereit und miteinander regierungsfähig sein". Der Gegner der Demokratie stehe rechts. "Deutschland braucht jetzt ein Bündnis aller progressiven Kräfte."

Die SPD könnte das schon längst haben. 2005 gab es bereits rechnerisch eine rot-rot-grüne Mehrheit. Genauso wie bei der jüngsten Bundestagswahl im Herbst 2013. Gabriel könnte also bereits seit drei Jahren Kanzler sein und nicht Angela Merkel (CDU). Dass es dazu nicht kam, hat mit tiefen inhaltlichen Zerwürfnissen zu tun. Vor allem in der Außen- und Verteidigungspolitik waren die Positionen unvereinbar. Und sind es noch immer?

Unter dem Druck der AfD und angesichts der Krise Merkels scheint die Kompromissbereitschaft zuzunehmen. Gregor Gysi, Ex-Parteichef der Linken, gab den Weg vor: "Die SPD muss sich dazu weit bewegen, die Grünen müssen ihren Hang zur Union überwinden und die Linke kompromiss- und demokratiefähiger werden."

Funktionierende Beispiele in den Ländern könnten helfen, weshalb die Berlin-Wahl plötzlich so wichtig wird. Besonders deutlich formulieren das die Spitzen bei den Linken. Das Votum in der Hauptstadt mache "Mut für neue linke Mehrheiten", schwärmte Katja Kipping am Tag danach. Auch im Bund sei die große Koalition abwählbar, ergänzte Bernd Riexinger.

Und Grünen-Chefin Simone Peter meinte am Montag: Wenn Rot-Rot-Grün in Berlin gut funktioniere, "wird das auch in unsere Überlegungen für 2017 einfließen, aber nicht entscheiden". Grundvoraussetzung für alle rot-rot-grünen Blütenträume im Bund ist freilich eine rechnerische Mehrheit. Auch daran fehlt es nach den derzeitigen Umfragen noch.

In Thüringen gibt es bereits ein - allerdings von den Linken - geführtes Bündnis dieser Art. Rote und Dunkelrote haben darüber hinaus schon in mehreren ostdeutschen Ländern gemeinsame Regierungserfahrungen gemacht. In Mecklenburg-Vorpommern entschied sich die SPD vorletzte Woche zur Enttäuschung der Linken allerdings für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU. Die Grünen sind dort nicht im Landtag vertreten.

Als nächstes könnte nach Berlin im Saarland "R2G" versucht werden; dort wird im März gewählt, und Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine liebäugelt mit solch einem Modell. Selbst in Nordrhein-Westfalen wäre nach dem Urnengang im Mai eine solche Variante laut den jetzigen Umfragen denkbar - und die einzige Alternative zur großen Koalition. Dann wäre die Idee endgültig salonfähig.

Für Gabriel und seine SPD ist eine eigene Machtperspektive im Bundestagswahlkampf wichtig, will man nicht als ewiger Juniorpartner der CDU antreten. Einen ersten Probelauf auf Bundesebene könnte es bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten im März 2017 geben. Derzeit gibt es auf der Ebene der Partei- und Fraktionsvorsitzenden zwischen allen politischen Kräften darüber Sondierungsgespräche - auch zwischen SPD, Grünen und Linken. Die drei linken Parteien hätten zwar in der Bundesversammlung keine Mehrheit, könnten sich aber in einem dritten Wahlgang durchsetzen, wenn sie denn einen gemeinsamen Bewerber finden.

Vor allem für die Grünen stellt die Bundespräsidentenwahl die Gretchen-Frage: Denn auch Angela Merkel umwirbt sie für ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl und würde deshalb ebenfalls gern mit ihnen eine gemeinsamen Bundespräsidenten küren.