Königshaus: „Ausrüstung der Bundeswehr gibt es nicht beim Discounter“

Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus kritisiert im WZ-Interview, dass Sicherheitslücken aus Kostengründen nicht geschlossen werden.

Herr Königshaus, nachdem innerhalb von nur sieben Tagen vier deutsche Soldaten in Afghanistan getötet wurden, fordern Sie erneut eine bessere Ausrüstung für die Bundeswehr. Hätte das amerikanische „route clearance packages“, das Minenräumfahrzeug-System, das Leben der Soldaten gerettet?

Königshaus: Den IED(Sprengfallen)-Anschlag vom vergangenen Donnerstag hätte niemand unbeschadet überstanden. Der hätte vermutlich auch mit einem besseren System nicht verhindert werden können. Oder man hätte ein doppelt so schweres Fahrzeug wie den Marder einsetzen müssen, aber damit wäre der Einsatz nicht möglich gewesen.

Aber bei den Anschlägen zuvor hätte eine bessere Ausrüstung etwas ausrichten können?

Königshaus: Dort hätten die amerikanischen Minenräumfahrzeuge etwas ausrichten können. Da bin ich mir sicher.

Wieso verfügt die Bundeswehr nicht über entsprechendes Gerät?

Königshaus: Wir wissen bereits seit beinahe zehn Jahren aus dem Irak, wie groß die Bedrohung durch IEDs ist. Deshalb hat die US-Armee seit Jahren das System „route clearance packages“ im Einsatz. Die Franzosen seit 2009.

Und diese Erkenntnis hatte sich bei der Bundesregierung nicht durchgesetzt?

Königshaus: Wir hätten es wissen müssen. Der erste IED-Anschlag auf die Bundeswehr erfolgte am 16. Juni 2004 in der Nähe von Kundus. Und seit 2005 spricht auch die Bundesregierung von der Hauptbedrohung unserer Soldaten durch IEDs in Afghanistan. Doch erst 2009 hat man die Fähigkeitslücke erkannt, erstaunlich spät.

Ist der Regierung die Sicherheit der Soldaten also nicht wichtig?

Königshaus: Warum nichts getan wurde, das ist die Hauptfrage. Letztlich wurde diese Sicherheitslücke aus Kostengründen nicht geschlossen.

Was bedeutet das genau?

Königshaus: Es fand eine Kosten-Nutzen-Rechnung statt. Man hat festgestellt, dass die Bundeswehr in Afghanistan ein System für den Feldlagerschutz benötigt. Gleichzeitig aber auch das „route clearance packages“ für Patrouillen. Der Feldlagerschutz wurde als wichtiger erachtet. Er wurde bestellt — ist aber noch nicht im Einsatz.

Und eine neue Ausrüstung im Kampf gegen die Sprengfallen gibt es nicht?

Königshaus: Das eigene System wird entwickelt. Dagegen habe ich auch gar nichts. Es ist vielleicht sogar besser als das amerikanische. Und ich hoffe sehr, dass es überhaupt irgendwann kommt. Doch das hilft den Soldaten in Afghanistan derzeit nichts. Ich fordere von der Bundesregierung, das System schnellstmöglich einzuführen.

Wann ist der Einsatz geplant?

Königshaus: Es wird in Teilen Ende des Jahres zum Einsatz kommen, komplett im Frühjahr 2012.

Müsste man dann nicht pragmatisch vorgehen und bis dahin entsprechende Minenräumfahrzeuge von den Amerikanern leihen?

Königshaus: Ich bin für Pragmatismus. Aber das geht nicht. Die USA haben ihren eigenen Bedarf gedeckt und können uns nichts leihen. Und die Industrie produziert solche teuren Fahrzeuge nicht auf Vorrat. Die gibt es nicht beim Discounter. Wenn wir die jetzt bestellen würden, gibt es Lieferfristen von ein bis zwei Jahren.

Aber man hätte sie doch schon vor Jahren bestellen können, statt ein eigenes System zu entwickeln.

Königshaus: Das US-System ist nicht gewollt, weil es nicht „germanisiert“ ist. Die Fahrzeuge entsprechen nicht den zivilen deutschen Normen etwa in punkto Straßenverkehrszulassung.

Müsste die Strategie geändert werden, damit nicht noch weitere Soldaten durch Sprengfallen sterben?

Königshaus: Nötig ist eine intensive Überwachung durch ein Aufklärungssystem. Wer große Sprengfallen vergräbt, braucht dafür Zeit. Das fällt auf. Wenn wir solche Vorhaben aufklären, müssen wir zielgerichtet, angemessen und verhältnismäßig dagegen vorgehen können. Dazu brauchen wir neben den Panzerhaubitzen auch Kampfhubschrauber. Dabei muss die Truppe direkt vor Ort auf die Lage reagieren können und nicht aus dem Panzer aussteigen, um nach Sprengfallen zu suchen.

Wirkt sich die Situation auf die Moral der Truppe aus?

Königshaus: Natürlich wirkt sich das auf die Moral aus. Bei meinen Truppenbesuchen wird durchgängig die Fähigkeitslücke beklagt. Die Soldaten sagen, dass die Ausrüstung besser ist als noch vor einem Jahr. Aber selbst bei den Sachen, die da sind, fehlt die erforderliche Reserve. Bei Anschlägen zerstörte oder beschädigte Fahrzeuge werden nicht ersetzt.

Was fordern Sie von der Politik?

Königshaus: Morgen befasst sich der Verteidigungsausschuss mit dem Thema. Ich erwarte klare Worte von der Bundesregierung. Wenn der Bedarf erkannt ist, muss gehandelt werden. Das ist nicht nur eine Frage des Entscheiders, der sagt, für was das Geld ausgegeben wird. Sondern das gilt auch für diejenigen, die das finanzielle Korsett der Bundeswehr so eng setzen.