Kompromissappelle und Drohungen - Neue Hartz-Verhandlungen
Berlin (dpa) - Mit gegenseitigen Appellen zum Kompromiss, aber auch mit Drohungen, haben die Unterhändler von Koalition und Opposition ihre Verhandlungen über die Hartz-IV-Reform fortgesetzt. Trotz der angespannten Atmosphäre hieß es zwei Stunden nach Beginn aus Verhandlungskreisen.
„Es wird inhaltlich diskutiert.“ Strittig ist nach wie vor der Regelsatz. SPD und Grünen legten dazu neue Kompromissvorschläge vor, bei denen es dem Vernehmen nach unter anderem um eine andere Berechnung geht.
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach am Dienstagabend von einer „letzten Verhandlungsrunde“. Die Opposition müsse nun ihren Einigungswillen beweisen. Die Koalition habe genug „großzügige Angebote“ gemacht. Es sei an der Zeit, Klarheit für die betroffenen Hartz-IV-Empfänger und für die mehr als zwei Millionen bedürftigen Kinder zu schaffen.
Zuvor hatten sich die Spitzen von Union und FDP auf eine gemeinsame Position verständigt. Man sei kompromissbereit, werde aber eine „klare rote Linie ziehen“, verlautete nach Ende des Treffens unter Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dazu zähle, dass sich die Koalition bei der Anhebung der Regelsätze nicht mehr bewegen werde. Die Regierung will die Sätze um 5, die SPD und Grüne um 11 Euro anheben.
Die Verhandlungsführerin der SPD, Manuela Schwesig, gab sich ergebnisorientiert: „Wir sind gespannt, was die Koalition heute vorlegt, nachdem Merkel ihre Leute zum Rapport gerufen hat.“ Sie empfinde die FDP bei diesen Verhandlungen „als Klotz am Bein“.
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt kündigte am Abend im Bayerischen Fernsehen an, im Fall einer Nichteinigung werde man am Mittwoch im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag die bisherigen Angebote der Regierung zur Abstimmung stellen.
Der Unterhändler der Grünen, Fraktionsvize Fritz Kuhn, warf der Regierung vor, noch immer keinen Vorschlag „für einen verfassungskonformen Regelsatz“ vorgelegt zu haben. Die Verhandlungen sollen nach Kuhns Worten „an Grünen und SPD nicht scheitern“.
Vor den beiden Verhandlungsrunden am Abend hatte Merkel die Bürger auf ein Scheitern eingestimmt. Sie sehe „sehr schlechte Chancen“ für eine kurzfristige Einigung.
In dem von SPD und Grünen angekündigten neuen Vorschlag soll es für jedes der drei Streitthemen - Regelsatz, Bildungspaket und Mindestlohn - zwei Alternativvarianten geben, erfuhr die Nachrichtenagentur dpa. Die Positionen von CDU/CSU und FDP habe man bei dem Kompromisspapier berücksichtigt.
Kommt es zu keiner Einigung, werden die 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger und die 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien vorerst weiter auf höhere Leistungen warten müssen. Wegen der vor einem Jahr vom Bundesverfassungsgericht bereits zum 1. Januar 2011 verlangten Neuregelung wird eine Klagewelle von Betroffenen und Sozialverbänden auf der Basis des Verfassungsurteils befürchtet.
Merkel kritisierte, die Opposition konzentriere sich nicht auf die Umsetzung des Urteils, sondern auf das von ihr Wünschenswerte. Wenn sich das nicht ändere, sei sie „leider sehr skeptisch“.
Im Gegenzug dazu warf SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin vor, die Gespräche offensichtlich scheitern lassen zu wollen. „Frau Merkel ist der kleinste gemeinsame Nenner von CDU, CSU und FDP wichtiger als eine faire Einigung im Sinne der Betroffenen.“ Niemand habe etwas davon, in dieser Sache weiter zu blockieren. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hielt der Koalition vor, das Bildungspaket nicht ausreichend finanziert zu haben.
Nach den Worten der Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, hat die Kanzlerin es zu verantworten, dass die Regierung ein Jahr nach dem Urteil des Verfassungsgerichts immer noch keinen „ordentlich berechneten Regelsatz“ für Langzeitarbeitslose vorgelegt habe.
Die FDP sieht keinen Zeitdruck für eine Einigung und hält auch eine Sondersitzung des Bundesrates nicht für notwendig. Man fürchte sich nicht vor einem Wahlkampf mit diesem Thema, hieß es aus der Führung der Partei. Man setze auf das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Die Koalition will die Sätze für Hartz-IV-Empfänger auch deswegen nicht weiter erhöhen, weil der Abstand zum Einkommen von Geringverdienern und Rentnern sonst geringer würde.