Länder müssen ehemalige Sicherungsverwahrte entschädigen
Karlsruhe (dpa) - Ehemalige Sicherungsverwahrte haben Anspruch auf Entschädigung, wenn sie zu lange eingesperrt waren. Zahlen muss das Bundesland, das für die Verwahrung verantwortlich war, entschied der Bundesgerichtshof.
Bundesweit können nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa mehr als 100 Straftäter auf Entschädigung hoffen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte 2009 die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die Höchstgrenze von zehn Jahren hinaus für rechtswidrig erklärt (Az.: III ZR 405/12 u.a.).
Vier ehemalige Sicherungsverwahrte aus Vollzugsanstalten in Baden-Württemberg haben nun Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 500 Euro für jeden Monat, den sie zu lange eingesperrt waren. Die Männer waren zwischen 1977 und 1986 unter anderem wegen Sexualdelikten zu langen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.
Damals war die Verwahrung, die sich an die eigentliche Haft anschließt, auf zehn Jahre begrenzt. 1998 wurden die Gesetze verschärft. Sicherungsverwahrung war jetzt unbegrenzt verlängerbar, und zwar auch für schon einsitzende Täter. Die Männer blieben deshalb für weitere acht bis zwölf Jahre eingesperrt. Diese nachträgliche Verlängerung verstieß gegen die Menschenrechte. Die vier Kläger haben deshalb Anspruch auf Entschädigungen zwischen 49 000 und 73 000 Euro.
„Die Frage der Haftung hat dem Grunde nach schon der EGMR entschieden“, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Schlick. Der Anspruch folge aus der Menschenrechtskonvention. Vor dem BGH war im Wesentlichen noch umstritten, ob der Bund oder die Länder Entschädigung zahlen müssen.
Schlick betonte, die jeweiligen Amtsträger hätten bei der damaligen Entscheidung über die Verwahrung „guten Gewissens das Recht angewandt, das im Bundesgesetzblatt stand“. Der Anspruch auf Entschädigung sei aber unabhängig von einem Verschulden der Beteiligten.
„Wegschließen für immer kostet - und zwar Sicherheit und Geld“, kommentierte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Entscheidung. „Die Bundesregierung hat die menschenrechtswidrige Gesetzgebung seit 1998 beseitigt. Menschenrechtswidrige Schnellschüsse bedrohen die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, wenn sie vor den Gerichten keinen Bestand haben.“
In ganz Deutschland haben nun mehr als 100 ehemalige Sicherungsverwahrte Aussicht auf Entschädigung. Das ergab eine dpa-Umfrage in den Justizministerien der Länder. In Baden-Württemberg können neben den vier Klägern rund 15 Straftäter Ansprüche geltend machen. In Bayern gibt es 27 Fälle, Nordrhein-Westfalen muss voraussichtlich rund 20 Straftäter entschädigen, auch in Hessen könnten 20 Betroffene Ansprüche geltend machen.
In Niedersachsen gibt es potenziell acht potenziell Betroffene, in Hamburg vier. In Hessen laufen fünf Klagen von ehemaligen Sicherungsverwahrten, insgesamt könnten 20 Personen betroffen sein. In Schleswig-Holstein verlangen fünf ehemalige Gefangene Entschädigungen. Andere Bundesländer wollen das Urteil zunächst sorgfältig prüfen, bevor sie genauere Angaben machen.