Interview mit Alexander Graf Lambsdorff Legalen Weg für Zuwanderung schaffen
Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, über Flüchtlingspolitik, Griechenlandkrise und die FDP.
Düsseldorf. Graf Lambsdorff, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat angesichts der Flüchtlingstragödie im Mittelmeer gesagt: „Wir dürfen nicht überrascht sein, dass die Unglücklichen der Welt uns die Türen einrennen und durchs Fenster kommen. Man muss die Türen öffnen.“ Teilen Sie diesen Satz?
Alexander Graf Lambsdorff: Juncker hat da mutig ein konservatives Tabu geknackt. Legale Wege für Zuwanderung zu schaffen, befürworten die Freien Demokraten seit Langem. Das heißt aber nicht, dass wir alle Schleusen öffnen wollen.
Und wie sieht so ein legaler Weg aus?
Lambsdorff: Es gibt Berufe, bei denen der Fachkräftemangel mit Händen zu greifen ist — Krankenschwester oder Industrieschlosser zum Beispiel. Die Idee ist: Bevor man in die formale Prüfung des Asyls eintritt, sollte man fragen: Was kann dieser Mensch eigentlich? Kann uns seine Qualifikation besonders nutzen?
Und dann?
Lambsdorff: Wenn jemand eine solche Qualifikation mitbringt, sollte er unabhängig vom Asylverfahren eine Aufenthaltserlaubnis beantragen können. Damit ist allen geholfen: Dem Flüchtling, der nicht an das sechsmonatige Arbeitsverbot gebunden ist. Der Anerkennungsbehörde, die um ein Verfahren entlastet wird. Und unserem Arbeitsmarkt, der händeringend qualifizierte Menschen sucht.
Warum geht es auf Europa-Ebene nicht mit der gleichmäßigen Verteilung der Flüchtlinge auf die Staaten voran?
Lambsdorff: Die Union blockiert das seit Jahren.
Warum, was steckt dahinter?
Lambsdorff: Das ist ein Denken des 19. Jahrhunderts in Verbindung mit Bunkermentalität. Die Denke im Innenministerium ist: Auf unser Staatsgebiet kommt nur, wen wir reinlassen. Man besteht auf einem rein nationalen Aufenthaltsbestimmungsrecht anstatt anzuerkennen, dass gerade Deutschland durch einen europäischen Verteilungsschlüssel entlastet würde.
Brauchen wir nicht endlich eine abgestimmte Politik?
Lambsdorff: Natürlich, aber die große Koalition tut nichts, auch nach der jüngsten Katastrophe sehen wir ein Hin und Her nicht abgestimmter Maßnahmen. Dabei haben wir hier eine Verantwortung. Nur, wenn Deutschland gute Politik macht, können wir in Europa bei diesem Thema wirklich weiter kommen. Aber da versagt diese Bundesregierung.
Ihr Parteichef Christian Lindner hat sich gestern für einen möglichen vorübergehenden Grexit ausgesprochen, ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone. Wie stehen Sie als Europapolitiker dazu?
Lambsdorff: Lindner und ich wollen beide, dass die Griechen Reformen umsetzen und in der Eurozone bleiben können. Aber wenn sie das nicht tun, ist der Grexit eine reale Option. Wir sehen im Ausscheiden Griechenlands dann eher eine Stärkung der Eurozone als eine Schwächung. Und Griechenland könnte so wieder auf die Füße kommen, weil das Land seine Währung abwerten könnte und mit seinem großen Tourismuspotenzial auch preislich deutlich attraktiver würde.
Käme bei einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht Russland ins Spiel?
Lambsdorff: Von Moskau aus wird schon geschaut, was sich da tut. Doch wir als Europäische Union sind stark und attraktiv genug, um Griechenland auch bei einem Ausscheiden aus der Eurozone in der EU zu halten. Und ich glaube auch, dass Präsident Putin sich nicht auf Dauer auch noch Griechenland ans Bein bindet. Er hat doch mit der Ostukraine und der Krim schon genug zu tun. Zumal sich die russische Wirtschaft ohnehin auf einer besorgniserregenden Talfahrt befindet.
Hat die FDP eine Zukunft?
Lambsdorff: Ja, ganz klar. Es gibt ein neues Wir-Gefühl bei den Freien Demokraten. Unser Dreikönigstreffen und danach der Erfolg bei der Hamburg-Wahl haben uns neuen Schwung gegeben, der sich am kommenden Wochenende auch auf die Bremen-Wahl übertragen wird. Hinzu kommt: Die AfD entlarvt sich jeden Tag mehr als eine teilweise ins Extreme abdriftende rechtspopulistische Kraft. Damit wird immer mehr Menschen klar, dass die AfD die FDP nicht ersetzen kann.
Welche Pläne haben Sie persönlich?
Lambsdorff: Ich leiste meinen Beitrag, dass wir mit der FDP 2017 wieder in den Bundestag einziehen. Deutschland braucht eine Stimme für die Marktwirtschaft im Parlament.