Parteitag in Hannover Linke will grundlegende Neuausrichtung der Politik
Hannover (dpa) - Die Linken wollen mit dem Versprechen einer Gerechtigkeitswende die scheinbar unangefochtene Position von Kanzlerin Angela Merkel erschüttern.
Parteichefin Katja Kipping schwor die Partei zu Beginn eines Parteitags am Freitag in Hannover auf einen deutlichen Regierungskurs ein - und ging damit auf Konfrontation zu Befürwortern einer reinen Oppositionsrolle.
Einen „alten, klassischen Regierungswahlkampf“ wolle die Linke nicht führen, sagte Kipping vor rund 450 Delegierten. Klar sei aber, „dass wir uns nicht auf die Oppositionsrolle beschränken sollten. Machen wir uns nicht kleiner, als wir sind.“ Bis Sonntag wurden noch Kontroversen darüber erwartet, ob die Linken hohe Hürden vor einer möglichen Regierungsbeteiligung im Bund aufstellen oder sich regierungsbereit zeigen.
Im Mittelpunkt stünden bei den Linken die Interessen der Ärmeren und der Mittelschicht, sagte Kipping. „Wir sind die Gerechtigkeitspartei.“ Eine „Gerechtigkeitswende“ sei aber nur vorstellbar mit der Abschaffung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. Bis Sonntag will die Linke ihr Wahlprogramm festlegen.
Laut Vorstandsentwurf soll jeder weniger Steuern zahlen, der weniger als 7100 Euro im Monat brutto hat. „Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern.“ Ab Jahreseinkommen von 260.533 Euro soll eine Reichensteuer mit 60 Prozent greifen. Keine andere Partei habe so „seriös durchgerechnete Vorschläge“. Mindestrente und Mindestsicherung sollten jedem auch im Bedarfsfall mindestens 1050 Euro pro Monate bringen.
„Die Regierung Merkel hat dieses Land zu einem Land der Millionäre und der Millionen in Armut gemacht“, sagte Kipping. Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hätten auch Europa kaputt gemacht. Durch ihre Politik komme es in Europa zu einem starken wirtschaftlichen Ungleichgewicht mit immensem deutschen Handelsüberschuss. Schäuble sei ein „fiskalpolitischer Sprengsatz für Europa“. Scharf kritisierte Kipping auch CSU-Chef Horst Seehofer: Er trage AfD-nahe Positionen in die Regierung.
Die Linken wollten das Land verändern und hätten den Mut, sich mit der Immobilien-, Versicherungs- und Rüstungslobby anzulegen. Anders gehe es nicht. „Sonst tuckert die Fregatte Merkel weiter auf ihrem Kurs, ob nun mit Martin Schulz als neuem Offizier oder mit Christian Lindner als Schiffsjunge an Bord“, sagte Kipping. Ohne starke Linke drohe also eine Koalition der Union mit der SPD von Parteichef Schulz oder mit der FDP von Lindner.
Zugleich warb Kipping um SPD und Grüne als mögliche Bündnispartner. Bei der Sicherheitspolitik rief sie beide Parteien auf, nicht die EU als neuen Weltpolizisten anstelle der USA von Präsident Donald Trump in Stellung zu bringen. Mit den Linken sollten sie auf einen Multilateralismus-Kurs gehen, also eine Welt friedlich verbundener Staaten anstreben.
Mehr als jeder dritte Bundesbürger (36 Prozent) hält die Linkspartei im Bund für regierungsfähig. Nach Einschätzung von fast der Hälfte (46 Prozent) ist sie hingegen grundsätzlich nicht geeignet, Teil einer Bundesregierung zu sein. Das ergab eine Umfrage des Instituts YouGov Deutschland im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Eine Beteiligung der Linken an der Bundesregierung nach der Wahl fänden 35 Prozent schlecht oder sehr schlecht - 23 Prozent fänden dies gut oder sehr gut, im Osten 32 Prozent.