Welttag der Pressefreiheit Maria Leitners Besuch bei Heinrich Heine

Getarnt als amerikanische Touristin, verschaffte sich Maria Leitner Zutritt zum verbotenen Düsseldorfer „Heine-Zimmer“.

Das Heine-Zimmer in einer handcolorierten Abbildung um 1930.

Foto: Foto: foticon images/Sammlung Carl Simon

Düsseldorf. Düsseldorf hat heute nur einen „großen“ Sohn: Schlageter. Zu seinem Ruhme brennen ewige Feuer. Für ihn werden Denkmäler errichtet. In der Königsallee liegt zwischen Musikcafés sein Ehrenmal. In der Landes- und Stadtbibliothek am Friedrichsplatz verkündet eine große Tafel: „Schlageter-Museum“.

Foto: Foto: Welt der Frau

Ich frage den Portier: „Wo ist, bitte, das Heine-Zimmer?“ Er sieht mich verständnislos an. Dann ruft er einen älteren Mann. Der gibt mir düster Auskunft: „Das Heine-Zimmer ist vorläufig für immer geschlossen.“

Ich gebe mich aber damit noch nicht zufrieden und gehe in die Kartothekräume der Bibliothek. „Könnte ich, bitte, das Heine-Zimmer sehen?“

Alle Anwesenden, Frauen und Männer, es sind die Angestellten der Bibliothek, halten in ihrer Arbeit inne und blicken mich verwundert an. Einer knurrt: „Wissen Sie denn nicht, dass das Heine-Zimmer geschlossen ist? Von wo kommen Sie denn her?“

„Aus Amerika“, sage ich, „und ich bin in Düsseldorf nur ausgestiegen, um das Heine-Zimmer zu sehen.“

Alle starren mich an, als wäre ich ein Wundertier: Die kommt also aus Amerika und ahnt nichts davon, wie es in Deutschland zugeht! Aber gab es nicht auch Leute im Krieg, die nichts von ihm wussten?

Ich blickte heiter und unbefangen vor mich hin. Die Angestellten stecken die Köpfe zusammen, flüstern, beratschlagen. Dann kommt ein hagerer Mann auf mich zu: „Warten Sie!“

Ich setze mich und warte. Der Hagere ist aus dem Zimmer gegangen, wahrscheinlich muss er mit der Direktion beraten. Nach einer Weile kehrt er zurück und sagt nur: „Kommen Sie.“

Stumm geht er mit dem Schlüssel voran, durch dunkle Gänge, durch Korridore, in denen die Kartotheken aufbewahrt sind. Nein, das Heine-Zimmer ist nicht erst jetzt in einen Hinterraum verbannt worden: Es war auch in den Zeiten der Republik ein halbverborgenes Zimmer, dessen man sich ein wenig schämte.

Der Schlüssel knarrt heiser im Schloss. Die Tür geht schwer, wie von Staub verklebt. Staub liegt auch dicht über den Kästen, die an den Wänden entlanglaufen. Die Wände sind kahl.

Der Hagere beginnt die Schränke zu öffnen. Er nimmt behutsam einige Bände aus ihrem Gefängnis. Eine Staubschicht liegt auf den abgescheuerten Ledereinbänden, deren Rücken den Namen des Dichters mit goldenen Schnörkeln zeigen.

Die Bücher sind verstaubt, aber wenn man sie öffnet, ist es, als spreche jemand mit einer ganz jungen, frischen Stimme:

„Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, wenn man zufällig dort geboren, und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehen. Und wenn ich sage nach Hause gehen, so meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin. Dieses Haus wird einst sehr merkwürdig sein.“

Das Haus in der Bolkerstraße sieht jetzt wirklich merkwürdig aus: mit den abgekratzten Inschriften und der leeren Nische, aus der man eine Statue gerissen hat.

„Wir müssen uns jetzt beeilen“, sagt der Hagere, aber seine Hände betasten noch die vielen Bände in den Schränken, als wollte er feststellen, dass sie noch nicht zu Staub zerfallen sind.

Bücher in japanischer, chinesischer, spanischer, griechischer, hindostanischer, indochinesischer — Bücher in hundert Sprachen! Alle diese Völker dachten, es sei ein deutscher Dichter, den sie in ihrer Sprache lasen und den sie liebten . . . Das Dritte Reich will sie eines anderen belehren.

Der Hagere öffnet noch schnell einige Schränke, blickt hinein; dort ist die Büste Heines, dort sind Zeichnungen, auf denen er aussieht wie ein echter deutscher träumender Poet, und hier: ein ausgestopfter Papagei, sein Lieblingsvogel . . .

„Über diesen Papagei schrieb er an Laube, dass nur noch er und Mathilde ihn am Leben hielten“, erklärt der Hagere, dann aber schweigt er plötzlich, als hätte er schon viel zu viel gesagt. Er blickt auf seine Uhr und beginnt schnell, wieder die Schränke zu schließen. „Das hat alles keinen Sinn“, sagt er, und ich weiß nicht, worauf er es bezieht.

Dann stehen wir draußen. Wieder knarrt der Schlüssel.

Unten warten sie schon auf unsere Rückkehr, als hätten wir uns in ein verbotenes, fernes Land gewagt.

„Da sind Sie ja wieder“, sagt eine freundliche Dame, und sie breitet vor mir, als lebten wir in alten, vergangenen Zeiten, ein Gästebuch aus.

Und ich schrieb einen Namen hinein.

Der Text erschien zuerst im ersten Heft des Jahres 1938 in der deutschen literarischen Exilzeitschrift „Das Wort“ in Moskau. Für die Zeitschrift, die von Juli 1936 bis März 1939 existierte, schrieben unter anderen Walter Benjamin, Ernst Bloch, Alfred Döblin, Oskar Maria Graf, Stefan Heym, Egon Erwin Kisch, Heinrich, Klaus und Thomas Mann, Anna Seghers und Stefan Zweig. Herausgeber waren Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi Bredel.