Mehr Opfer von Ärztepfusch: 2011 gab es 99 Tote
Berlin (dpa) - Die Zahl offiziell registrierter Kunstfehler von Ärzten in Deutschland steigt: In 2287 Fällen kamen ärztliche Gutachterstellen im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass Behandlungen, Diagnosen oder die Patientenaufklärung fehlerhaft oder unzulänglich waren.
Das waren 88 Fälle mehr als 2010. Für 99 Patienten endete der Ärztepfusch tödlich. 721 Patienten erlitten Dauerschäden. Insgesamt erkannten die unabhängigen Gutachter in mehr als 1900 Fällen den Fehler als Ursache für einen Schaden an.
Diese Zahlen nennt die am Dienstag in Berlin veröffentlichte Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern. Sie bieten eine vergleichsweise schnelle, aber nicht die einzige Möglichkeit für betroffene Patienten, an Schadenersatz zu kommen. Insgesamt beanstandeten schätzungsweise rund 40 000 Versicherte pro Jahr ihre Behandlung, sagte der Vorsitzende der Konferenz der Gutachterkommissionen, Andreas Crusius. Die Patienten wenden sich auch an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder ans Gericht. Dort dauern die Verfahren aber Jahre, die Gutachterstellen entscheiden dagegen im Schnitt in 13 Monaten.
Die Dunkelziffer bei Behandlungsfehlern ist hoch. Insgesamt sollen laut unterschiedlichen Schätzungen zehntausende Menschen jedes Jahr wegen Ärztefehlern allein in Deutschlands Kliniken sterben. Eine genaue Zahl kennt niemand.
Hüft- und Knieoperationen, Behandlungen wegen Armbrüchen und Brustkrebs zählen zu den häufigsten Eingriffen unter Pfuschverdacht bei den Gutachterstellen. Mehr als 3800 mal warfen Patienten 2011 ihren Ärzten vor, bei Operationen geschludert zu haben. „Dabei kommt es zu Komplikationen, dabei kommt es auch zu Infektionen“, sagte Crusius.
Viele der 99 Todesfälle gingen darauf zurück, dass es nach einer Klinik-OP zu einer Infektion mit Blutvergiftung kam, wie der Geschäftsführer der norddeutschen Schlichtungsstelle, Johann Neu erläuterte. Einen Arztfehler gibt es dabei etwa, wenn trotz Warnzeichen kein Blutbild gemacht wurde. Tödliche Fehler in der Praxis können laut Neu auch verschleppte Krebsdiagnosen sein. Die leichte Steigerung führte Crusius auf wachsende öffentliche Aufmerksamkeit für Ärztefehler zurück. Mit der Zahl der älteren Patienten würden aber auch die schadensträchtigen Eingriffe zahlreicher. Insgesamt gab es etwas mehr Entscheidungen der ärztlichen Stellen: 7452 nach 7355 im Vorjahr. 72 Prozent der Betroffenen hatten eine Klinikbehandlung hinter sich. Es beschwerten sich auch etwas mehr Patienten: 11 107 nach 11 016 ein Jahr zuvor.
Die Ärzteschaft sieht ihre Statistiken und Fallsammlungen auch als Lernmaterial, um Fehler zu vermeiden. „Durch Fehler wird man klug - aber man muss nicht jeden Fehler selber machen“, sagte Crusius. Angesichts von Millionen Behandlungsfällen in Klinik und Praxis kämen zudem vergleichsweise selten Fehler vor.
Die Bundesregierung will die Rechte der Patienten stärken. Im Mai beschloss das Bundeskabinett dazu das Patientenrechtegesetz. In gravierenden Fällen soll künftig der Arzt beweisen müssen, dass ein Schaden nicht von einem Fehler herrührt. Die gesetzlichen Krankenkassen forderten für die Patienten eine weiter erleichterte Beweislast bei Behandlungsfehlern. „Patienten müssten danach nur noch belegen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dass sie einen Schaden erlitten haben“, sagte Verbandsvorstandsmitglied Gernot Kiefer der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag). Die Ärzte wiesen diese Forderung zurück.