Merkel bestreitet Einflussnahme auf Gauck bei Fiskalpakt
Berlin (dpa) - Nach der Einigung zwischen Koalition und Opposition ist der Streit über den Euro-Rettungskurs der Bundesregierung neu aufgeflammt. SPD und Grüne machen allein Kanzlerin Merkel dafür verantwortlich, dass die Gesetze zum Fiskalpakt und zum Euro-Rettungsschirm ESM nicht zum 1. Juli in Kraft treten können.
Der Zeitplan sei nur deshalb so eng, weil die Bundesregierung vier Monate nicht mit der Opposition geredet habe. „Das ist schon alles nicht besonders professionell“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel.
Bundespräsident Joachim Gauck hatte am Donnerstag angekündigt, dass er die beiden Gesetze vorerst noch nicht unterschreiben werde. Damit kommt er einer Bitte des Bundesverfassungsgerichts nach, das zunächst über mehrere Anträge auf einstweilige Anordnung gegen die Gesetze entscheiden will. Das bedeutet, dass der ESM nicht wie geplant am 1. Juli in Kraft treten kann. Es wird damit gerechnet, dass das Bundesverfassungsgericht innerhalb weniger Wochen über die Eilverfahren entscheidet. Die Sache habe „höchste Priorität“, sagt eine Sprecherin am Freitag.
Zu Gaucks Entscheidungsfindung gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete, dass Merkel offenbar versucht habe, das Staatsoberhaupt dazu zu bewegen, die Gesetze sofort nach der Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat am nächsten Freitag auszufertigen. Gauck selbst habe zunächst verhalten auf die Bitte aus Karlsruhe reagiert. Hätte er das Ansinnen abgelehnt, wäre dies einer Verfassungskrise gleichgekommen, hieß es.
Merkel wies Spekulationen über eine versuchte Einflussnahme zurück. „Die Bundeskanzlerin hat niemals mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck über die Frage und den Zeitpunkt der Ausfertigung der Gesetze zu ESM und Fiskalpakt gesprochen“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter. Im übrigen sei sie davon überzeugt, dass jedes Mitglied der Bundesregierung genau wie sie selbst die Unabhängigkeit der Verfassungsorgane achte.
Die Bundesregierung versicherte, die Verzögerung sei kein Anlass zur Beunruhigung. Bei der Prüfung in Karlsruhe handele es sich um ein „ganz normales Verfahren in einem Rechtsstaat“, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums. Der Fahrplan von Bundestag und Bundesrat sei davon nicht berührt. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte bei einem Besuch in Indien, es sei die deutsche Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt, dass Fiskalpakt und ESM so schnell wie möglich in Kraft treten könnten.
Die Linke will ihre Verfassungsklage und ihren Antrag auf einstweilige Anordnung in Karlsruhe einreichen, sobald die Gesetze in Bundestag und Bundesrat verabschiedet sind. Daneben sind noch zahlreiche andere Klagen angekündigt, unter anderem von der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, forderte eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt. Dieser hebele die Mitbestimmungsrechte des Parlaments aus und schränke den Spielraum aller künftigen Regierungen entscheidend ein, sagte sie den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe (Freitag). „Das ist ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz.“
SPD-Chef Gabriel machte im Südwestrundfunk allein Merkel für die Verzögerung verantwortlich. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte im Deutschlandfunk, er rechne nicht damit, dass der ESM insgesamt gekippt werde. Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck sagte zu „Handelsblatt Online“, das Durcheinander habe sich Merkel selbst zuzuschreiben, weil sie zu spät auf die Opposition zugegangen sei.
Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) trifft sich am Sonntag mit Vertretern der Bundesländer im Kanzleramt, um eine Einigung im Streit über den Fiskalpakt zu erzielen. Der Bundesratsminister der grün-roten Regierung in Baden-Württemberg, Peter Friedrich (SPD), forderte Bayern auf, die Verhandlungen nicht mit unrealistischen Forderungen zu überfrachten. Seehofer hatte als Vorbedingung für eine Zustimmung Bayerns mehr Geld vom Bund für den Straßenbau in seinem Land gefordert. Die Rede ist von bis zu 1,5 Milliarden Euro.