ARD-„Wahlarena“ Merkel garantiert Verzicht auf Obergrenze
Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel hat knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl eindringlich um den Zusammenhalt im Land geworben - von Deutschen und Migranten, Alten und Jungen sowie Starken und Schwachen.
In der am Montagabend aus Lübeck gesendeten ARD-„Wahlarena“ mit Fragen von Bürgern verschiedenster Herkunft benannte die CDU-Vorsitzende Probleme und Chancen in der Flüchtlingspolitik, bei der Rente und Pflege, in der Bildung und Kinderbetreuung sowie im Verhältnis zur Türkei.
Merkel garantierte, dass sie im Falle eines Wahlsieges der Union nicht die von der Schwesterpartei CSU geforderte Obergrenze von 200 000 neu ankommenden Flüchtlinge pro Jahr zementieren werde. „Meine Haltung zu der Obergrenze ist ja bekannt, dass ich sie nicht will. Ich möchte sie nicht. Garantiert.“
Merkel versuchte, kritischen Fragestellern Ängste zu nehmen und versicherte abermals, dass sich ein Jahr wie 2015, als rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen, nicht wiederholen werde. Sie warb aber zugleich um Mitgefühl für Menschen, die wie viele Syrer vor dem Krieg und Machthaber Baschar al-Assad geflohen seien.
Dem Sohn iranischer Eltern, der sich als voll integriert bezeichnete, aber seine Sorge vor Ausländerfeindlichkeit etwa der Alternative für Deutschland (AfD) und einem Rechtsruck äußerte, sprach sie Mut zu. „Lassen Sie sich ihren Schneid nicht abkaufen und halten sie dagegen. Es ist die Zeit, wo wieder Mut gefragt ist“, sagte Merkel in Anerkennung seiner Leistung als studierter Wissenschaftler.
Sie mahnte, Menschen dürften nie nach ihrem Aussehen beurteilt werden. Sie warnte vor Ausgrenzungen jeglicher Art und bezog sich sowohl auf Ausländer und Migranten als auch auf Behinderte und Andersdenkende. Sie versicherte auch, rechtsextremes Verhalten in der Bundeswehr werde scharf geahndet.
Angesichts der massiven Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis warb sie zudem eindringlich für den Zusammenhalt mit türkischstämmigen Bürgern. Ihnen müsse gesagt werden: „Ihr seid hier zu Hause. Wir schätzen Euch.“ Es sei aber immer noch so, dass Menschen mit einem türkischen Namen in Deutschland etwa auf dem Arbeitsmarkt Nachteile hätten. Viele türkischstämmige Deutsche hätten vielleicht das Gefühl, „wenn es hart auf hart kommt, sind wir doch nicht Teil der deutschen Gesellschaft“. Gleichzeitig müsse aber allen klar sein: „Wir wollen nicht, dass Ihr Eure Konflikte hier austragt.“
Die Türkei habe sich weit davon wegentwickelt, was sie unter einem Rechtsstaat verstehe, betonte Merkel. Hier gehe es um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und die herrschende Partei AKP. Deutschland müsse da „mehr Flagge zeigen“. Dabei gehe es auch um die Überprüfung, ob die EU-Beitrittsverhandlungen gestoppt werden sollen. Deutschland dürfe aber die Hoffnung der Menschen nicht kaputtmachen, die in der Türkei gegen die jetzige Entwicklung seien.
Sie bekräftigte, dass die Union das gesetzliche Renteneintrittsalter von 67 Jahren nicht erhöhen wolle, aber über die Säulen des Rentensystems wie die private Altersversorgung und die betriebliche Altersversorgung gesprochen werden müsse. Bei den Kitagebühren sprach sie ohne konkrete Angaben von einer „Tendenz zur Gebührenfreiheit“.
Zur Überwindung des Fachkräftemangels in der Pflege will sich Merkel für Verbesserungen des Berufes und seiner Bezahlung einsetzen sowie auf Pfleger aus dem EU-Ausland zurückgreifen. Das Berufsbild solle attraktiver gemacht werden, dafür müssten auch die Tarifpartner in ihren Verhandlungen sorgen. Notfalls müssten Pflegekräfte aus europäischen Ländern helfen.
Ein junger Mann, der eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger macht, kritisierte das CDU-Wahlprogramm. Es stimme nicht, dass sich niemand um die Pflege sorgen müsse. Die Würde der Menschen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen werde „tausendfach verletzt“. Die Pfleger seien überlastet und für zu viele Patienten zuständig. Merkel sagte: „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass zum Schluss alles zu bester Zufriedenheit ist, aber es wird mehr Standard da reinkommen. Ich hoffe, dass es in zwei Jahren besser ist.“
Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium hatte im August einen Bericht vorgelegt, wonach in Gesundheits, Pflege- und auch technischen Berufen eine immer größere Fachkräftelücke droht. In einigen Branchen und Regionen könnten Arbeitnehmer bereits heute offene Stellen kaum noch besetzen.