Merkel hofft nach Hartz-IV-Scheitern auf Bundesrat

Berlin (dpa) - Nach dem Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen setzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einen Überraschungserfolg der Koalition im Bundesrat. Doch die möglichen Wackelkandidaten in der Ablehnungsfront der Länder winken bereits ab.

Ein Jahr nach dem Verfassungsurteil für eine Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze ist damit völlig offen, wann die 4,7 Millionen Langzeitarbeitslosen und 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien höhere Leistungen bekommen.

Die Bundesregierung warb für ihr Paket. „Es wird am Freitag den Ministerpräsidenten vorgelegt, und die mögen es mit Blick auf die betroffenen Menschen und auf ihre Verantwortung prüfen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

Merkel sagte am Abend in einer Sondersitzung der Unionsfraktion nach Teilnehmerangaben: „Die SPD kann auf Dauer nicht Nein sagen.“ Zugleich wies sie den Vorwurf zurück, die schwarz-gelbe Koalition habe die Hartz-IV-Gespräche aus taktischen Gründen vor den Landtagswahlen scheitern lassen.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte im ZDF: „Jetzt ist der Tag der Entscheidung gekommen.“ Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte den „Stuttgarter Nachrichten“ (Donnerstag), am Freitag im Bundesrat „kommt es zum Schwur“. Die SPD habe genügend Gelegenheit gehabt, auf die Angebote der Koalition einzugehen.

Nach rund sieben Wochen war die Kompromisssuche in der Nacht zum Mittwoch in gegenseitigen Vorwürfen geendet. Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat billigte die Vorschläge von Union und FDP daraufhin mit schwarz-gelber Mehrheit. Nun liegen die Pläne von der Leyens zur Umsetzung des Verfassungsurteils am Freitag der Länderkammer vor.

Mangels Mehrheit für Union und FDP dürfte das Paket dort durchfallen - es sei denn, zum Beispiel die schwarz-gelb-grüne Koalition an der Saar oder Schwarz-Rot in Sachsen-Anhalt oder Thüringen stimmen zu. Doch aus diesen Ländern hieß es in einer dpa-Umfrage, wenn sich die Regierungspartner nicht einig seien, bleibe es bei einer Enthaltung. Dies kommt einer Ablehnung gleich.

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), machte am Mittwoch deutlich, dass sein Land im Bundesrat nicht gegen den Willen der mitregierenden SPD für die Pläne stimmen wird. Eine Sprecherin der Saar-Grünen sagte, es gebe keinen Anlass, am Nein des Saarlands zu rütteln.

Es läuft jetzt alles auf ein neues Vermittlungsverfahren mit denselben Beteiligten hinaus. Nur so kann die vom höchsten Gericht geforderte Hartz-Neuregelung doch noch Gesetz werden.

Laut von der Leyen gab es Einigkeit beim Bildungspaket für bedürftige Kinder, der Entlastung der Kommunen und der Einführung weiterer Mindestlöhne. Beim Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher seien die Positionen unvereinbar geblieben. Die Koalition will den Satz um 5 Euro auf 364 Euro anheben, SPD und Grüne hatten 11 Euro mehr verlangt und zuletzt eine ganz neue Berechnungsmethode vorgeschlagen.

Die Koalition setzt nun darauf, die Länder mit dem Versprechen einer Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben um 12,2 Milliarden Euro zwischen 2012 und 2015 zu einem Ja bewegen zu können. Es handele sich um „ein einmalige Angebot“ an die Länder, sagte von der Leyens Sprecher Jens Flosdorff. SPD und Grüne sprachen vom Versuch der Erpressung. SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig sagte, ihre Partei habe versprochen, „keine faulen Kompromisse einzugehen“.

CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sagte: „Ich schließe nicht aus, dass im Bundesrat der eine oder andere Ministerpräsident der SPD-Seite angesichts der umfangreichen Angebote der Koalition doch noch zustimmt.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigte sich zuversichtlich, dass es der Regierung nicht gelingen werde, ein weiteres Land auf ihre Seite zu ziehen.

Regierung und Opposition überboten sich mit Schuldvorwürfen. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte im Kabinett nach Teilnehmerangaben: „Die SPD fährt eine klare Lafontaine-II-Stategie: Erst die Partei, dann das Land.“ Er spielte auf die Blockadehaltung unter dem früheren SPD-Chef Oskar Lafontaine in der Endzeit der Kanzlerschaft Helmut Kohl (CDU) 1997 an.

Die SPD sah es genau andersherum. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, die Regierung habe den Koalitionsfrieden über die Interessen von Familien und Leiharbeitern gestellt. „Wir waren kompromissbereit.“ So waren SPD und Grüne nach eigenen Angaben bereit, eine Gleichstellung von Stammbelegschaften und Zeitarbeitern beim Lohn erst nach drei bis vier Monaten statt sofort hinzunehmen. Grünen-Verhandlungsführer Fritz Kuhn sagte: „Sie wollten keine Einigung. Frau Merkel hat den Streit nicht geschlichtet, sondern verschärft.“ Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warf Regierung und Opposition schäbigen Wahlkampf auf dem Rücken von Millionen Betroffenen vor.

Sozial- und Wohlfahrtsverbände wie VdK, Kinderschutzbund, Caritas, Diakonie und Paritätischer Wohlfahrtsverband reagierten zutiefst enttäuscht und riefen Betroffene teils zu Klagen auf. Heinrich Alt vom Vorstand der Bundesagentur für Arbeit warnte, die Hilfe der Jobcenter bei der Arbeitssuche würde unter einer Klagewelle leiden. Schwesig forderte von der Bundesregierung, wenigstens die 5 Euro auszuzahlen und auch das Bildungspaket in Kraft zu setzen.

Sollte die Reform von Hartz IV am Freitag im Bundesrat scheitern, wollen Union und FDP weite Teile des Gesetzespaketes auch ohne die SPD in Kraft setzen. Der Bundestag werde dann alle nicht zustimmungspflichtigen Vorhaben zügig beschließen, kündigte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstag) an. Dazu gehörten unter anderem der Mindestlohn für die Leiharbeiter und die versprochenen Entlastungen für die Kommunen.