Angela Merkel stellt sich Krisenkanzlerin im Bundestag - Erklärstunde mit Knalleffekt
Berlin · Ruhig, souverän, schlagfertig: Angela Merkel stellt sich den Fragen der Abgeordneten. Die Opposition wirkt zahm - sie schafft es nicht, daraus ein Highlight des Parlamentarismus zu machen.
Es wirkt fast, als würden die dramatischen Monate der Corona-Krise Angela Merkel neuen Schwung geben - und auch mehr Lust am Erklären. Keine Spur von Erschöpfung nach den vielen Krisensitzungen. Resignation wegen der Ministerpräsidenten, die sich vor genau einer Woche nach „Öffnungsdiskussionsorgien“ gegen den vorsichtigen Lockerungskurs der Kanzlerin durchgesetzt hatten? Fehlanzeige. Geduldig, ruhig und schlagfertig antwortet Merkel am Mittwoch in der Regierungsbefragung des Bundestags den Abgeordneten.
Wer gehofft hat, die Kanzlerin werde von der Opposition so richtig „gegrillt“, wird enttäuscht. Und auch eine packende Parlamentsdebatte sieht anders aus. Doch vielleicht ist die Ruhe, die Merkel als Krisenkanzlerin ganz offensichtlich ausstrahlen will, auch ein Grund dafür, dass die Zustimmungswerte zu ihrer Politik und zur Union in Umfragen derzeit in lange nicht gekannten Höhen liegen. Im Bundestag gibt es jedenfalls manchen Scherz Merkels - und ungewöhnlich viel Applaus.
Die Kanzlerin holt die eigentlich für den 25. März geplante Befragung durch das Parlament nach. Damals hatten die Abgeordneten in einer wegen der Pandemie verkürzten Sitzungswoche ein milliardenschweres historisches Hilfspaket für Unternehmen und Bürger beschlossen. Die Kanzlerin konnte der Debatte nur von Zuhause aus per Fernseher folgen. Merkel musste für zwei Wochen in häusliche Quarantäne, weil sie von einem infizierten Arzt geimpft worden war.
Doch nun will sich Merkel den Abgeordneten stellen. Um 12.55 Uhr kommt sie in den Plenarsaal, grüßt lächelnd in Richtung Unionsfraktion, plaudert entspannt mit einigen Abgeordneten, bespricht sich kurz mit Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Auch für die Kanzlerin gelten dann die üblichen Abstandsregeln in dieser Krise: Zwei Sitze neben ihr bleiben frei.
Vor Beginn der gut 60-minütigen Fragerunde beschwört die Kanzlerin ihr Credo, mit dem sie versucht, die Krise in den Griff zu bekommen: Zwar sei schon einiges geschehen, was Mut mache. Aber man habe doch nicht zeitweilige Einschränkungen der persönlichen Rechte auf sich genommen, „um jetzt, weil wir die Vorsicht ablegen, einen Rückfall zu riskieren“. Merkel, die Mahnerin: „Lassen Sie uns mutig und wachsam sein.“ Sie bekommt Beifall, nicht nur aus den eigenen Reihen.
Als erster Fragesteller hält der Abgeordnete und AfD-Chef Tino Chrupalla Merkel dann vor, ihre Corona-Politik vernichte die Existenz von über zwei Millionen Menschen. Ob sie ausschließen könne, dass die Bürger durch erhöhte Abgaben und Steuern die Kosten übernehmen müssten?
Merkel kontert sachlich. Natürlich gebe es wirtschaftliche Folgen der Pandemie. Die Sicherungsmaßnahmen der Regierung zeigten aber, „dass wir die Menschen nicht ins Nichts entlassen mussten“. Und Stand heute seien keinerlei Erhöhungen von Steuern und Abgaben geplant. Aber sie maße sich natürlich nicht an, „Zukunftsvorherseher“ zu sein.
Ziemlich höhepunktslos plätschert die Befragung dann vor sich hin. Es folgen Fragen zu den Saisonarbeitern, den Zuständen bei den Werksarbeitern in der Fleischindustrie nach den jüngsten massiven Corona-Infektionen oder zur schwierigen Situation der Pflegekräfte. Oft legt Merkel den Kopf bei der Antwort leicht schief, zeigt Verständnis, nimmt Anregungen auf, geht auf die Frager ein. Die Stimmung ist ruhig, selbst die AfD verzichtet weitgehend auf die sonst oft üblichen Provokationen.
Als der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin von Merkel süffisant wissen will, ob die Corona-Tracing-App womöglich erst nach einem Impfstoff kommen werde, kontert die Kanzlerin, solche Wunder könnten nicht mehr passieren, dass ein Impfstoff vor der App zur Verfügung stehen werde. Sie könne zusagen, dass die App vorher komme.
Und als der Linken-Politiker Harald Weinberg Merkel im Zusammenhang mit der schwierigen Lage der Pflegekräfte ein unabhängiges Krisenmonitoring vorschlägt, sagt Merkel zu: „Ich werde jede Anregung sehr gerne mit aufnehmen.“ Wenn er eine Gruppe kenne, die ihr jede Woche einen Lagebericht schicken wolle - nur her damit: „Ich bin ja ein aufmerksamer Zeitmensch - um nicht Genosse zu sagen“ - entgegnet Merkel dem Linken. Großes Gelächter der Abgeordneten.
Nur bei einer Frage hat Merkel einen richtigen Knaller auf Lager. Die Grüne Tabea Rößner spricht die Kanzlerin da auf den Cyberangriff auf den Bundestag vor fünf Jahren an. Der Generalbundesanwalt hatte in der vergangenen Woche den russischen Militärgeheimdienst GRU dafür verantwortlich gemacht.
Die sonst oft diplomatische Kanzlerin holt daraufhin zu einem ungewöhnlich harten verbalen Schlag gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus. Enttäuscht spricht sie von einem ungeheuerlichen Vorgang, von einer Strategie der „hybriden Kriegsführung“ Russlands, die auch „Desorientierung“ und „Faktenverdrehung“ beinhalte. Sie bemühe sich täglich um ein besseres Verhältnis zu Russland - und dann das. „Natürlich behalten wir uns immer Maßnahmen vor, auch gegen Russland“, droht die Kanzlerin.
Am Ende, nach 68 Minuten Frage-Antwort-Spiel, nimmt die Kanzlerin ganz ohne Eile ihre Handtasche und verlässt den Plenarsaal. Anders als sonst lässt sie sich nicht von einem Fahrer zurück ins Kanzleramt bringen. Gemeinsam mit ihren Bodyguards geht sie zu Fuß - etwas Luft schnappen in Zeiten der Krise. Merkel scheint mit sich im Reinen. Etliche, die sie vor ein paar Monaten noch vorzeitig absägen wollten, würden sich in diesen Zeiten womöglich wünschen, dass sie weitermacht.