Hohe Infektionsquoten Greift die Corona-Notbremse?

Berlin · Deutschland macht in der Corona-Krise nach den ersten Öffnungen vorsichtige Schritte Richtung Normalität. Aber was passiert, wenn die Infektionszahlen doch wieder steigen? Für den Fall gibt es regionale Obergrenzen, aber noch Fragezeichen, was die genauen Folgen angeht.

Symbolbild

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Gerade erst haben sich Bund und Länder auf eine Art Notbremse für das Infektionsgeschehen verständigt - schon tritt der Ernstfall ein. Am Freitag reißen drei Orte in Deutschland die ausgehandelte Obergrenze für Neuinfektionen: Der Kreis Greiz in Thüringen, Coesfeld in Nordrhein-Westfalen und der Kreis Steinburg in Schleswig-Holstein. Was geschieht nun?

Wie funktioniert die Obergrenze?

Wenn es in Landkreisen oder kreisfreien Städten innerhalb von sieben Tagen 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner gibt, sollen die Länder sicherstellen, dass „sofort ein konsequentes Beschränkungskonzept“ entwickelt wird - so haben es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten diese Woche vereinbart.

Und wenn der Ausbruch nur lokal begrenzt ist?

„Bei einem lokalisierten und klar eingrenzbaren Infektionsgeschehen, zum Beispiel in einer Einrichtung, kann dieses Beschränkungskonzept nur diese Einrichtung umfassen.“ Das könnte zum Beispiel heißen, dass ein Altenheim isoliert wird.

Bei „einem verteilten regionalen Ausbruchsgeschehen und unklaren Infektionsketten“ sollen regional wieder Beschränkungen eingeführt werden. „Diese Maßnahmen müssen aufrechterhalten werden, bis dieser Wert mindestens 7 Tage unterschritten wird“ - gemeint ist die 50-Infektionen-Grenze.

Was passiert, wenn das nichts hilft?

Spätestens, „wenn die Zahl weiter steigt und es keine Gewissheit gibt, dass die Infektionsketten bereits umfassend unterbrochen werden konnten“, sollen nicht erforderliche Bewegungen in die betroffenen Gebiete und aus ihnen heraus eingeschränkt werden. Wie umfangreich diese Einschränkungen ausfallen, dürfte situationsabhängig sein. „Um es klar zu sagen: Der Landkreis wird sich nicht in Quarantäne begeben“, hat die Landrätin des Ostthüringer Landkreises Greiz, Martina Schweinsburg (CDU), bereits klargestellt. Sie verweist darauf, dass nicht der gesamte Landkreis gleichermaßen vom Ausbruch betroffen sind, sondern vor allem die beiden Städte Greiz und Zeulenroda-Triebes.

Wie wird denn dann auf die dramatische Zahl neuer Corona-Nachweise in den Landkreisen reagiert?

Im Kreis Greiz - der Region mit der bundesweit höchsten Quote an Neuinfektionen - sind den Angaben zufolge vor allem Pflegeheime betroffen. Vergangenes Wochenende wurde deswegen ein Massentest durchgeführt, der zahlreiche Infektionen bei Bewohnern und Personal zutage brachte. Betroffen sind sechs Pflegeheime und eine Geriatrie-Klinik. So könnten die in Thüringen geplanten Lockerungen bei Besuchen in Alten- und Pflegeheimen für den Landkreis ausfallen. Lockerungen etwa für die Gastronomie könnte es durchaus dennoch geben. Schweinsburg wies jüngst darauf hin, dass sonst die Menschen wohl in die benachbarten Landkreise oder Bundesländer ausweichen würden.

Nach Feststellung von über 100 Neuinfektionen in einem Schlachtbetrieb in Coesfeld im Münsterland hat die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen angeordnet, dass alle Fleischbetriebe im Land ihre Mitarbeiter testen müssen. Der betroffene Betrieb musste am Freitag seine Arbeit vorerst einstellen. Der lokal begrenzte Ausbruch hat aber Folgen für den ganzen Kreis. Mehrere für den kommenden Montag vorgesehen Lockerungen der Schutzmaßnahmen werden um eine Woche auf den 18. Mai verschoben. Die für Schulen und Kindertagesstätten für Montag geplanten Öffnungsschritte dürften dagegen umgesetzt werden.

Wer behält die Zahl der Neuinfektionen im Blick?

Die Daten zu Verdachtsfällen und Infektionen mit dem Coronavirus kommen von den Gesundheitsämtern vor Ort. Diese kümmern sich auch um den Infektionsschutz. Spätestens am nächsten Arbeitstag gehen sie an die zuständige Landesbehörde und von dort an das Robert Koch-Institut, das das Infektionsgeschehen deutschlandweit im Blick hat. Das heißt: Die aktuellsten Zahlen, auf deren Grundlage die Politik entscheiden muss, haben nur die Landkreise selbst.

Was müssen die Länder jetzt machen?

Wie schon bei früheren Absprachen in der Corona-Krise sind nun die Juristen dran. Sie müssen die politischen Vereinbarungen in konkrete Verordnungen oder Weisungen übersetzen, damit die Entscheidungen der Behörden eine Rechtsgrundlage bekommen. Dabei dürften sie sich nach Angaben des Landkreistags auf das Infektionsschutzgesetz stützen.

In Thüringen etwa will die Landesregierung am Dienstag eine neue Verordnung beschließen und darin den Kommunen viel Verantwortung bei weiteren Lockerungen der Corona-Beschränkungen geben. Das stößt bei denen allerdings auf Kritik. „Damit verlässt man den Pfad der Einheitlichkeit endgültig. Jetzt kann fast jeder machen, was er will“, monierte etwa Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD). Er forderte einen Rahmen, in dem sich die Kommunen mit ihren Vorgaben bewegen können.

Wie sieht es mit den Chancen auf Urlaub in Deutschland aus?

Das klärt sich nun nach und nach. Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel öffnet zum 25. Mai seine Grenzen für Urlauber aus anderen Teilen Deutschlands. Mit dem Ende des dann etwa neunwöchigen Einreiseverbots für Touristen ist für alle Bundesbürger auch Urlaub an der Ostsee wieder möglich. Doch machte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) deutlich, dass zum Schutz der eigenen Bevölkerung und der Urlauber Menschen aus sogenannten Hochrisiko-Gebieten weiterhin nicht nach Mecklenburg-Vorpommern kommen können. Die Einschränkung betreffe Landkreise, die die Obergrenze von 50 Neuinfektionen reißen.

Nach Angaben von Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) wird es Einreisekontrollen wie zu Ostern nicht geben. Doch würden die Betreiber von Hotels, Pensionen oder Campingplätzen sensibilisiert. Bei Buchungsanfragen aus betroffenen Regionen gelte es darauf hinzuweisen, dass eine Anreise nicht erfolgen solle. „Es grundsätzlich zu untersagen, ist uns politisch nicht möglich“, sagte Glawe aber auch und machte damit deutlich, dass es kein rechtlich bindendes Verbot gibt.