Interview „Für Kraftwerk-Nerds war Florian Schneider Kraftwerk“

Düsseldorf · Ein Interview mit Rüdiger Esch, Kenner der elektronischen Musikszene Düsseldorfs, über den verstorbenen Kraftwerk-Gründer Florian Schneider, Abende bei Da Forno und den Vergleich mit John Lennon.

Rüdiger Esch mit Florian Schneider bei einem Treffen 2018 im Eiscafe Da Forno.

Foto: elvis esch

Herr Esch, wann haben Sie Florian Schneider zuletzt erlebt?

Rüdiger Esch: Sie sehen es auf dem Foto, zwei Jahre her. Da sitzen wir bei „Da Forno“ am Sonntagabend in Derendorf. Florian kam rein, setzte sich zu meinem Sohn und mir, trank seinen Espresso, aß seinen Toast. Wir haben supernett zusammengesessen, bestimmt ’ne Stunde. Und am meisten hat Florian selbst erzählt. Er war eine echte Plaudertasche an jenem Abend.

Ungewöhnlich, oder?

Esch: Nicht unbedingt. Man hat den Florian ja irgendwie immer mal gesehen. Er ging ins Schumacher an der Oststraße, das ist auch einer meiner Stammläden. Mit seinem Roller kam er an den Carlsplatz zur Eisdiele gerollt, gerne vormittags. Der hat ja nicht total zurückgezogen gelebt. Ich hab ihn auch mal bei Conrad getroffen.

Der Mitbegründer von Kraftwerk bei „Conrad Electronics“, das hat doch was.

Esch: Er trug Hawaii-Hemd und kurze Hose, erkannt hat ihn niemand. Er war auch bis zuletzt in der Mintropstraße unterwegs, wo ja das Kling Klang-Studio lag. Und was heute die Ellington Bar in der Scheurenstraße ist, war früher Cafe und Cocktailbar Bogletti. Da saß Florian immer im Schaufenster. Früher war das das alte Ladenlokal von Schauland, da hat man seine Schallplatten gekauft. Florian hat sich dort wohl gefühlt. Im Bogletti hatten sie eine gute Kaffemaschine, es war einfach, aber mit Geschmack eingerichtet. Er kam gut mit den Besitzern aus, die aus dem alten Friseur-Schriftzug „GOTTLIEB“ das „BOGLETTI“ gezaubert haben. Dort war er eigentlich immer gesprächig, wie man es bei einem, der bei Kraftwerk war, nicht erwartet. Ganz ähnlich wie auch Wolfgang Flür von Kraftwerk. Das sind ja alles nette, rheinische Typen, die viel erzählen.

Dabei gelten sie als unnahbar, schweigsame „Menschmaschinen“, voller Geheimnisse.

Esch: Bei Ralf Hütter ist das so. Den habe ich noch nie plaudernd erlebt. Und Karl Bartos? Eigentlich nicht. Den muss man nur ein bisschen kennen. Wenn man sie privat erlebt, hat das mit dem Image von Kraftwerk nicht mehr so viel zu tun.

Hat Florian Schneider immer in Düsseldorf gelebt?

Esch: Immer. Florian hatte früher eine Wohnung beim Studio Kling Klang in der Nähe. Und die letzten 15 Jahre hat er auf der Alexanderstraße gelebt, hinter dem „Zurheide“.

Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?

Esch: Man hat es schon länger gemunkelt. Und dann bekam ich Anrufe, wie traurig das sei, und dass da ja keiner darüber spreche. Ich hatte Kontakt zu Florians Schwester. Sie schrieb mir: „Flori nonstop. Die Musik wird immer weiterleben.“

Wie tickte Florian Schneider?

Esch: Er war der Tüftler. Er hat klassische Musik studiert, wie auch Ralf Hütter, aber für die Melodien waren Hütter und Bartos zuständig. Florian verantwortete diese Sprachsynthese, war für alles zuständig, was mit Frickelei zu tun hat. Wo gelötet wurde und Effektgeräte dazwischen geschliffen wurden. Er hat mit Wolfgang Flür das elektronische Schlagzeug gebastelt. Wenn ich es mit den Beatles vergleiche, war Florian John Lennon. Der Kunsttyp. Nicht wie Paul McCartney, alias Ralf Hütter. Das heißt nicht, dass er wichtiger war als Hütter. Zusammen waren sie genial und größer als die Summe der Teile. Und wenn man es weiter geht: Wolfgang Flür hat Parallelen zu Ringo Starr und Karl Bartos zu George Harrison. Die Zuteilung ist klar. Florian hat die Band gegründet, er hat sich den Namen überlegt und die erste Formation schon in den späten 60ern zusammengerufen. Er war als einziger die ganze Zeit dabei bis 2009. Hütter war ja mal eine Zeit lang für sein Architekturstudium ausgestiegen. Für harte Kraftwerk-Nerds ist Florian Schneider Kraftwerk.

Mit großem Einfluss auf das Werk?

Esch: Auf den ersten drei Alben hat er noch Querflöte gespielt, aber die dürfen ja nicht mehr veröffentlicht werden. Kraftwerk besteht darauf, dass „Autobahn“ das erste Album ist. Florian hatte seinen größten Einfluss beim Album „Radio-Aktivität“ von 1975. Der Sänger von OMD, Andy McCluskey, den ich gut kenne, liebt dieses Album. Es ist der „Blueprint“ für das gesamte Werk von denen.

Wie war Schneiders Verhältnis zu Hütter zuletzt?

Esch: Sie hatten nichts mehr miteinander zu tun. Die haben sich 2009 auseinander dividiert. Mit Anwaltskanzleien. Aber das ist nichts Schlimmes, das passiert bei jeder großen Band. Die haben sich sauber getrennt, die waren sich nicht gram und zufrieden.

Warum hat er das Gebilde verlassen?

Esch: Er wollte nie auf Tour gehen. Das Hindernis, überhaupt mehr Konzerte zu spielen, das war bei Kraftwerk immer Florian. Der wollte nicht reisen und reglementiert sein. Seitdem er ausgestiegen ist, geht Kraftwerk ja nur noch auf Tour. Die hatten ja vorher kaum gespielt. Ich hatte mir 2011 überlegt, das Buch „Electri_City“ anzugehen. Ich bin dann nach New York geflogen, um mir im „Museum of Modern Art“ die „Menschmaschine“ von Kraftwerk anzusehen. Weil ich dachte, das sei etwas wirklich Einmaliges. Dass die danach fünf Jahre nonstop auf Tour gehen, ahnte ich ja nicht. Als Florian nicht mehr dabei war, hat Hütter Kraftwerk mehr und mehr zu einer Marke ausgebaut, auch mithilfe einer Agentur. Für Florian galt: Da sie die Songs gemeinsam geschrieben und die Namensrechte zusammen verwaltet haben, ist er genauso reich geworden – obwohl er zuhause blieb. Auf Tour gehen ja meistens nur jene, die die Songs nicht geschrieben haben (lacht).

Was hat ihn außerhalb der Musik bewegt?

Esch: Großes Interesse hatte er am Radfahren. Und an Industrie-Design. Kraftwerk haben ja fast die ganzen 1990er Jahre nichts gemacht. Florian hat man auf dem Flohmarkt getroffen. Er sah dann oft aus wie aus den 30er Jahren, wie aus Emil und die Detektive geklaut. Schiebermütze, Dreiviertelhose, Kniestrümpfe. In jener Zeit hat kein Mensch über Kraftwerk geredet. Er hatte seine eigenen Dealer auf dem Flohmarkt, hat Lampen und Kleiderhaken gesammelt. Er war da kein Star, sondern einfach Sammler für Industriedesign. Die waren überhaupt einfach total normal. Wenn die nicht mit ihrer Gummipelle auf der Bühne standen, hat die niemand erkannt. Kraftwerk ist eine Arbeitsgemeinschaft, ein Künstler-Konglomerat. Das ist wie bei „Gilbert und George“. Die fragst du auch nicht nach ihren Bildern, weil sie getrennt von ihrer Kunst andere Menschen sind. Florian war überzeugter Düsseldorfer. Er ging zum Rethelgymnasium, zu Hinkel, zum Carlsplatz. Und ins Schumacher.