Merkel will gleiche Chancen für Migranten als Unternehmer
Berlin (dpa) - 16 Millionen Menschen aus Zuwandererfamilien leben in Deutschland. Im Arbeitsleben leiden sie oft unter Nachteilen. Ebenso wie Unternehmer mit ausländischen Wurzeln. Die Regierung will das ändern - ohne konkreten Plan.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte beim sechsten Integrationsgipfel der Regierung gleiche Chancen für Unternehmer mit ausländischen Wurzeln. Für Existenzgründer aus Zuwandererfamilien gebe es eine „strukturelle Benachteiligung“ etwa bei der Kreditvergabe, sagte Merkel in Berlin. Der Wirtschaftsstandort Deutschland müsse seine interkulturelle Kompetenz ausbauen. Auch im öffentlichen Dienst müsse der Anteil von Migranten erhöht werden. „Einwanderung ist Chance und Bereicherung“, sagte sie.
Nach Angaben des Verbandes Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa sind in Deutschland 700 000 Unternehmer mit Migrationshintergrund aktiv. Sie beschäftigten 2,5 Millionen Menschen - „und sie setzen Milliarden um“, sagte Verbandschef Recep Keskin.
Rund 16 Millionen Menschen in Deutschland haben ausländische Wurzeln - das sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Auf dem Arbeitsmarkt sind sie aber deutlich benachteiligt. Wie aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit belegen, liegt der Migrantenanteil unter den Arbeitslosen bei 35 Prozent. In einigen Bereichen der Arbeitswelt, allen voran im öffentlichen Dienst, sind Menschen aus Zuwandererfamilien erheblich unterrepräsentiert.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) mahnte: „Wir brauchen eine gelebte Kultur des Willkommens.“ Auch die öffentliche Verwaltung, Polizei, Passämter und Feuerwehren bräuchten Menschen mit internationalem Hintergrund. „Wir brauchen sie dringend und wir müssen um sie stärker werben. Das ist uns noch nicht ausreichend gelungen“, sagte er. Notwendig sei auch Solidarität mit den Menschen, die Ziel rassistischer Angriffe seien.
Merkel betonte, rassistische Strömungen und Vorurteile gegenüber Migranten müssten entschieden bekämpft werden. „Das muss raus aus den Köpfen.“ Die deutsche Gesellschaft sei nicht frei von solchen Einstellungen. Die Neonazi-Morde der rechtsextremen Terrorzelle NSU seien ein „schwerer Einschnitt“, die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung des Falls sei dringend notwendig. Merkel will noch vor der Sommerpause zu einem Gespräch mit Angehörigen der Neonazi-Opfer zusammenkommen.
Die verstärkte Zuwanderung von Menschen aus den krisengeplagten Ländern Südeuropas wertete die Kanzlerin als Chance. Doppelte Staatsbürgerschaften lehnte sie aber erneut ab.
Der Koalitionspartner FDP forderte ein Einlenken. „Die Sicherung von Fachkräften ist eine der größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft“, sagte der Bundeswirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler „Spiegel online“. Das Potenzial im Inland reiche dafür nicht. Nötig seien mehr qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland und die Einführung doppelter Staatsbürgerschaften.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte der dpa: „Deutschland ist Einwanderungsland, an dieser Erkenntnis führt kein Weg mehr vorbei.“ Die Zulassung einer doppelten Staatsangehörigkeit sei der Schlüssel zu einer Willkommenskultur. Sie forderte die Union auf, sich dieser Reform zu öffnen.
Die Opposition warf der Bundesregierung beim Thema Integration Versagen vor. Politiker von SPD, Linkspartei und Grünen kritisierten, der Gipfel sei lediglich eine Showveranstaltung. Konkrete Fortschritte gebe es nicht. Auch sie forderten, den Weg für doppelte Staatsbürgerschaften frei zu machen.