Merkels Botschaft an Chinas Jugend: Seid kritisch
Peking (dpa) - Wie zu einer Umarmung streckt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Arme aus. „Sie werden mit Ihren Gedanken, mit Ihrer gesamten Einstellung das gesamte Land prägen“, sagt sie zu den Studierenden an der Tsinghua-Universität.
„Jeder Fortschritt lebt ja immer davon, dass man kritisch Fragen stellt.“ Merkel plädiert für Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Umweltschutz und soziale Verantwortung. Gespannt lauschen die angehenden Führungskräfte an der chinesischen Eliteuniversität den Worten der deutschen Politikerin.
Die mitgereisten Bundestagsabgeordneten von CDU, SPD, Linken und Grünen sind mit Merkels China-Auftritt zufrieden. Sie habe eine gute Balance zwischen Wirtschaftsbeziehungen und Menschenrechten gefunden, heißt es unisono. Grünen-Chef Cem Özdemir sagt, China sei für ausländische Gäste ein sehr schwieriges Feld. Man dürfe weder überheblich noch unterwürfig auftreten.
„Schwer zu sagen, ob man mehr erreicht, wenn man offensiver für Menschenrechte eintritt, als es die Kanzlerin macht. Menschenrechte gehören klar auf die Agenda, aber auch ein grüner Außenminister würde sich nicht nackt auf den Platz des Himmlischen Friedens stellen und ein Transparent ausrollen.“
Ein Student möchte wissen, wie Merkel als Physikerin in der Politik gelandet sei. Merkel erzählt von der DDR. „Dort habe ich Physik studiert, weil die politischen Umstände mir nicht so erschienen, dass ich mich in der Politik dort engagieren wollte“, sagt sie und trifft damit die Gedanken vieler junger Menschen in China. Das rasante Wirtschaftswachstum bietet gerade gut ausgebildeten Chinesen die Chance, schnell reich zu werden. Die Politik steht für Viele hingegen für Korruption und festgefahrene Strukturen im Einparteiensystem in China.
Der Elektrotechnik-Student Zhang Cong flüstert: „Wir brauchen mehr solcher offenen Diskussionen.“ Schließlich gebe Merkel nicht nur gute Ratschläge, sondern spreche auch offen Probleme in ihrem Land an. So räumt die Kanzlerin in ihrer Rede ein, dass noch mehr für einen gleichberechtigten Zugang aller Deutschen zu höherer Bildung getan werden müsste. Und das wegen der Gefahr von Anschlägen Polizisten an allen jüdischen Einrichtungen in Deutschland stehen müssten. „Das ist sehr beschämend, wenn man überlegt, welche Geschichte wir hatten.“
Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung schließe Wachstum nicht aus, sagt die Kanzlerin. „Das ist eine Chance, neue Wege zum Wirtschaften zu entdecken“, betont Merkel. „Nachhaltigkeit ist für uns in Deutschland ein Leitprinzip.“ Neue Technologien nützen nicht nur Deutschlands Weg zu mehr Nachhaltigkeit, sondern seien gleichzeitig Exportartikel. „Ökonomische Ziele und ökologische Ziele gehen in so einem Fall Hand in Hand.“
Merkel preist deutsche Umwelttechnik. In Bereichen wie Energieeffizienz, Recycling oder nachhaltiger Landwirtschaft wollten deutsche Firmen ihr Engagement in China ausbauen. „Deutsche Unternehmen empfehlen sich als kompetente Partner“, sagt Merkel.
Der Zeitpunkt für ihr Werben ist gut gewählt. Chinas Führung hat drastische Maßnahmen für Umweltschutz angekündigt. Denn im Wochenrhythmus werden neue Daten bekannt, die belegen: Viele von Chinas Seen sind verschmutzt, das Agrarland großflächig verseucht und die Luft in den Großstädten oft gesundheitsgefährdend.
Vor etwa zwei Wochen hat Chinas Oberster Gerichtshof erstmals ein Umwelttribunal eingerichtet, das den Umgang mit Umweltsündern vor Gerichten im ganzen Land umkrempeln soll. Nach dreijähriger Beratung wurde im April erstmals seit 1989 das Umweltschutzgesetz verschärft, damit werden höhere Strafen bei Verstößen möglich. Wer die Umwelt verschmutzt, soll sich nicht mehr aus der Verantwortung ziehen können.
Das könnte nach Einschätzung von Experten die Nachfrage nach Umwelttechnik deutlich antreiben. „Die Verschärfung der Umweltpolitik bietet große Chancen für ausländische Umwelttechnik, doch auch die chinesischen Konkurrenten drängen in großer Zahl auf den Markt“, sagt Jost Wübbeke vom Mercator Institut für China-Studien (Merics).
Während chinesische Firmen anfangs einige Technik aus Deutschland und Europa kopiert haben, treten sie zunehmend mit eigenen Entwicklungen auf. Auf eine Frage nach Chinas Konkurrenz für deutsche Autos entgegnet Merkel: „Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn China mal selbst ein Auto bauen kann.“ Ob sie damit recht behält, bleibt abzuwarten.