Interview Michaela Noll: "Wenn es um Schlammschlachten geht, bin ich die falsche Person"
Die frischgebackene Bundestagsvizepräsidentin über ihr neues Amt, Respekt in der Politik und ihr Verhältnis zu Peer Steinbrück.
Düsseldorf. Am 19. Januar wählten 513 von 572 anwesenden Bundestagsabgeordneten Michaela Noll (57) aus dem Kreis Mettmann zur neuen Bundestagsvizepräsidentin. Die bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist damit bis zum Ende der Legislaturperiode Nachfolgerin des verstorbenen Peter Hintze.
Frau Noll, Wuppertal und der Kreis Mettmann liegen nah beieinander. Welches Verhältnis hatten Sie zu Peter Hintze?
Michaela Noll: Ein sehr gutes. Ich bin seit 15 Jahren im Parlament und er war die ganze Zeit unser Landesgruppenvorsitzender. Besonders zwei Dinge habe ich an ihm immer sehr geschätzt: Man konnte sich auf ihn als Mensch verlassen. Wenn es gut läuft und die Umfrageergebnisse stimmen, haben Sie in der Politik viele Freunde. Das kann sich schnell ändern, wenn es Probleme gibt, aber davon hat Peter Hintze sein Verhalten nie abhängig gemacht. Und er war ein ehrlicher Berater, konnte im vertraulichen Gespräch gute Ratschläge geben. Ich habe zudem bewundert, wie er um sein Leben gekämpft hat.
Als Parlamentarische Geschäftsführerin sind Führungsstärke und Organisationstalent gefragt. Hilft Ihnen das auch in der neuen Position oder geht es da eher um Moderation?
Noll: Als Geschäftsführerin muss man durchsetzungsfähig sein. Ein typisches Thema ist die Präsenz in den Debatten im Plenum. Da musste ich den Kollegen auch mal deutlich sagen, was von ihnen erwartet wird. Mir war ein kollegialer Umgang auch bei Debatten immer wichtig, für den habe ich auch in den eigenen Reihen gesorgt. Dadurch hatte ich viel Austausch auch mit den Parlamentarischen Geschäftsführern der anderen Fraktionen. Es waren Kollegen, die auf mich zukamen und mir gesagt haben, dass sie mich als Bundestagsvizepräsidentin sehen. Darüber habe ich mich gefreut. Nach der Wahl hat mir beispielsweise auch Petra Pau von der Linken gratuliert und ein kleines Geschenk überreicht.
Sie sind in der Politik eine Quereinsteigerin. Wie ist es dazu gekommen?
Noll: Nach der Geburt meines Sohnes 1992 hatte ich keinen Kindergartenplatz gefunden. Es gab kein Geschwisterkind und ich war nicht alleinerziehend. Da habe ich mir gesagt: Wer etwas verändern will, muss sich einbringen. Meckern alleine bringt nichts.
Ist das nicht der große Unterschied zu heute? Sie sind in die Politik gegangen, weil Sie sich geärgert haben und etwas verändern wollten. Heute ärgern sich die Menschen und wenden sich von der Politik ab.
Noll: Das ist schädlich für die Demokratie. Es gibt viele, die die Politik kritisieren, statt sich selbst einzubringen. Sie erwarten schnelle Veränderungen. Aber Demokratie erfordert Geduld und auch Leidensfähigkeit. Heute sehe ich bei den jungen Mitarbeitern in meinem Team, was sich in Bezug auf meine Gründe für den Eintritt in die Politik geändert hat: Die meisten finden einen Kitaplatz, die Väter bringen sich viel mehr ein. Politische Veränderung ist ein langer Weg. Viele junge Menschen sind beruflich und familiär so sehr eingespannt, dass sie keine Zeit und Kraft haben, sich politisch zu engagieren. Das ist eine problematische Entwicklung. Wir brauchen den Nachwuchs.
Lange war Familienpolitik Ihr Schwerpunkt. Zuletzt gehörten Sie dann dem Verteidigungsausschuss an. Eine ungewöhnliche Themenverlagerung, die auch Ursula von der Leyen schon hinter sich hat. Ein Zufall?
Noll: Frau von der Leyen und ich waren schon in ihrer Zeit als Familienministerin ein gutes Team und ich habe mich damals im Ausschuss verstärkt um das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie gekümmert. Ich fand es wichtig und sympathisch, dass Frau von der Leyen mit dem Thema der Vereinbarkeit von Dienst und Familie ein neues und wichtiges Thema in die Verteidigungspolitik gebracht hat. Der Soldatenberuf ist ein besonderer Beruf mit besonderen Härten für das Familienleben, gerade bei den vielen Auslandseinsätzen.
Sie formulieren selbst den Anspruch an sich, Brückenbauerin zu sein zwischen Politik und Gesellschaft. Wie kann das gelingen, gerade auch in Ihrem neuen Amt?
Noll: Wenn wir wollen, dass die parlamentarische Arbeit in der Bevölkerung respektiert wird, müssen wir auch selbst respektvoll miteinander umgehen. Wenn es um Schlammschlachten geht, bin ich die falsche Person.
Was bedeutet das für dieses Wahljahr?
Noll: Ich hielte es für einen schweren Fehler, wenn die Parteien die lauten Debatten im Internet noch lauter übertönen würden. Unsere Aufgabe ist es, durch Sachlichkeit Glaubwürdigkeit zu schaffen. Es steht viel auf dem Spiel: der Zusammenhalt und auch die Demokratie.
In welcher Form sind Sie in Ihrem neuen Amt gefordert?
Noll: Neben der Sitzungsleitung mit allen Begleitaufgaben übernimmt jeder Vizepräsident auch die Leitung einer Kommission. Ich habe von Peter Hintze den Vorsitz der Rechtsstellungskommission übernommen. Das ist eine Kommission des Ältestenrates und sie beschäftigt sich mit der Rechtsstellung der Parlamentarier in Bezug auf deren Rechte und Pflichten. Außerdem tauschen wir uns mit Parlamenten im Ausland aus.
Geht die politische Konfrontation im Bundestagspräsidium weiter, das derzeit mit Vertretern aller Fraktionen besetzt ist, oder welche Arbeitsatmosphäre herrscht dort?
Noll: Im Präsidium ist der Umgang miteinander traditionell von Respekt und Kollegialität geprägt. So habe ich es auch in meiner ersten Sitzung erlebt. Ich wünsche mir, dass dies so bleibt.
Wie sind Sie eigentlich mit Peer Steinbrück zurechtgekommen?
Noll: Er hat seine sehr eigene ironische und norddeutsche Art. Vor unserem ersten Aufeinandertreffen im Wahlkreis Mettmann I 2009 hat er mal öffentlich erklärt, er werde sich bei der CDU dafür einsetzen, dass ich einen sicheren Listenplatz bekomme. Da bin ich zu ihm gegangen und habe klar gesagt, das bekäme ich schon alleine hin. Als er 2013 Kanzlerkandidat war, hat er mit mir um sechs Flaschen Wein gewettet, dass die CDU aus der Regierung fliegt. Als ich nach der Wahl nur drei Flaschen bekam, habe ich ihn an seinen Wetteinsatz erinnert. Er meinte, er könne auf drei Flaschen reduzieren, weil wir ja nun in einer großen Koalition säßen. Aber ich habe von ihm auch einen vierseitigen handgeschriebenen Brief erhalten, in dem er mir zu meinem Wahlerfolg gratuliert. Das fand ich sehr anständig.
Wenn Ihr Vater heute noch leben würde, könnte er nach aktuellem Stand nicht in die USA einreisen. Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?
Noll: Dass Trump Präsident wurde, hat mich überrascht, wie fast alle. So war es auch beim Brexit. Da haben wir alle viel Lehrgeld bezahlt. Aber wir müssen uns auch mit Menschen an einen Tisch setzen, mit denen der Dialog nicht einfach wird. Und auch dieser Präsident wird irgendwann feststellen, dass er die Abgeordneten seiner Partei und internationale Partner braucht, um Interessen der USA durchzusetzen.
Sie selbst sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, Ihr iranischer Vater und Ihre deutsche Mutter sind immer zwischen dem Iran und Deutschland gependelt. Gab es kulturelle Konflikte innerhalb der Familie?
Noll: Die Vorstellungen meines Vaters über die Rolle der Frau waren natürlich sehr von dem persischen Frauenbild geprägt. Auf der anderen Seite bin ich in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der es längst selbstverständlich war, dass Jungen und Mädchen zum Beispiel gemeinsam in die Schule gehen und Sport machen. Ich habe versucht, es ihm zu erklären, und einen Mittelweg mit ihm gesucht.
Also auch aus der persönlichen Erfahrung heraus: Abschottung kann keine Lösung sein?
Noll: Im gemeinsamen Europa und in einer globalisierten Welt führt Abschottung zur Isolation. Das wäre gerade für Deutschland als Exportweltmeister lebensgefährlich. Unsere Interessen können wir am besten im Dialog durchsetzen. Unabhängig davon müssen wir für den Schutz der EU-Außengrenzen sorgen.