Analyse Die SPD hat keinen Plan

Berlin · Die Partei beruft eine kommissarische Führung. Nun tobt die Debatte um Doppelspitze und Urwahl. Nahles-Kritiker gehen derweil auf Tauchstation. Eine Analyse.

Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles ist kein SPD-Vorsitzdender in Sicht.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

„Danke schön dafür, machen Sie’s gut“. Freundlich verabschiedete sich Andrea Nahles am Montag von den Journalisten, die wie immer bei SPD-Krisen in Heerscharen vor dem Willy-Brandt-Haus warteten. Das zurückliegende Drama war ihr nicht anzumerken. Dann verließ sie die Zentrale – für immer. Sie hinterließ eine verstörte Partei, die am Montag überhaupt noch keinen Plan hatte, wie es weitergehen soll.

Organisiert wurde zunächst nur der unmittelbare Übergang. Die stellvertretenden Parteivorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel sollen die Partei kommissarisch führen. Bis wann, blieb offen. Bisher ist der nächste reguläre Parteitag für Dezember geplant; nicht wenige verlangen, ihn vorzuziehen. Die Entscheidung über den Zeitplan soll erst am 24. Juni erfolgen.

Vizekanzler Scholz nimmt sich selbst aus dem Rennen

Er hängt auch von anderen Fragen ab. Schon am Sonntag hatte es Rufe nach einer Doppelspitze gegeben, nach Möglichkeit eine Frau und ein Mann. Und über die könnte dann erstmals auch in einer Urwahl entschieden werden. Außenminister Heiko Maas machte sich in der Sitzung für ein solches Modell stark. Freilich muss der Vorsitzende nach dem Parteiengesetz immer von einem Parteitag bestätigt werden, für den es lange Einladungsfristen gibt. Und für die Doppelspitze wäre eine vorherige Satzungsänderung nötig.

Im Moment ist das Bewerberfeld ohnehin übersichtlich: Es gibt derzeit buchstäblich niemanden, der SPD-Vorsitzender werden will. Bundesfinanzminister Olaf Scholz nahm sich selbst aus dem Rennen. Der Vorsitz sei zeitlich mit seinem Regierungsamt nicht vereinbar, sagte er am Sonntag. Alle drei kommissarischen Vorsitzenden wollen ebenfalls nicht kandidieren, erklärten sie nach der Vorstandssitzung. Also auch nicht Schwesig, der bisher Ambitionen nachgesagt worden waren.

Ungeklärt ist auch der Fraktionsvorsitz, den Nahles am heutigen Dienstag abgeben will. Hier ist schon entschieden, dass der 59-jährige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich kommissarisch Chef wird. Wann der reguläre Nachfolger gewählt wird, ist offen. Aussichtsreich wäre wohl Matthias Miersch, der bisher erklärt hatte, nicht gegen Nahles antreten zu wollen.

Das wäre nun kein Hindernis mehr. Ähnliches hatte auch Martin Schulz geäußert. Freilich wurde er in der Vorstandssitzung mitverantwortlich für Nahles‘ Sturz gemacht. Diejenigen, die das betrieben hätten, dürften jetzt nicht belohnt werden, hieß es in der Runde. Auch für die Fraktion wird eine Doppelspitze erwogen.

Das Krisentreffen des 40-köpfigen Vorstandes verlief „sehr emotional, teilweise wütend“, berichtete ein Teilnehmer. Nahles‘ kurze Abschiedsrede sei eindrucksvoll gewesen. „Einige merken jetzt erst, wen wir verlieren“, hieß es. Die Wut richtete sich „gegen jene, die gegen Nahles gehetzt haben, ohne die Folgen zu bedenken“, wurde berichtet.

Die Angesprochenen gingen auf Tauchstation.  Etwa Michael Groß, SPD-Abgeordneter aus Marl. Er hatte am Montag nach der verlorenen Europawahl mit seiner Forderung nach einer Sondersitzung den Stein ins Rollen gebracht.

Montag teilte Groß mit, es sei ihm „nie um die eigene Person gegangen“, daher wolle er nichts sagen. Ähnlich äußerte sich Florian Post, der öffentlich der schärfste Kritiker von Nahles gewesen war („Sie verschreckt die Wähler“). Vor allem sein Satz, dass die SPD nicht für Nahles‘ „Kindheitstraum“ in Geiselhaft genommen werden dürfe, war immer wieder zitiert worden. Post ließ mitteilen, er wolle erst einmal die internen Diskussionen abwarten und sich nicht äußern.

Andere wandelten sich flugs vom Saulus zum Paulus. Allen voran Ex-Parteichef Sigmar Gabriel, bisher einer der schärfsten Nahles-Kritiker. Er sagte in einem Interview, die SPD brauche eine „Entgiftung“ der innerparteilichen Debatte. „Solange es nur um das Durchsetzen oder Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich weiter von uns abwenden“, sagte er.

Die Bremer Bundestagsabgeordnete Sarah Ryglewski reagierte auf Twitter mit der hämischen Bemerkung, das sei ein guter Vorschlag. „Ein erster Schritt für die SPD  wäre, wenn Du erst mal ne Weile auf Sendepause gehen würdest.“ Und Yasmin Fahimi, einst Generalsekretärin unter Gabriel, ätzte: „Von Entgiftung faseln und dabei Gift verspritzen. Geht‘s noch?“