NRW-Wahlkampf: Neuer Streit um „Soli“ für den Osten
Berlin/Düsseldorf (dpa) - Finanzschwache Kommunen des Ruhrgebiets haben im nordrhein-westfälischen Wahlkampf einen neuen Streit um die Transferzahlungen für den Osten entfacht. Sie verlangen ein Ende des Solidarpakts.
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) unterstützt zwar die Forderung der Ruhrgebiets-Kommunen nach mehr Geld vom Bund, lehnt aber ein vorzeitiges Aus für den Solidarpakt Ost ebenso ab wie ihr Herausforderer, Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). In den kommunalen Spitzenverbänden wird das Problem zwar gesehen, ein vorzeitiges Ende des Solidarpakts aber für unwahrscheinlich gehalten.
Der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) sagte der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag): „Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat.“ Es sei nicht zu vermitteln, dass die Ruhrgebietsstädte Kredite aufnehmen müssten, um ihren Anteil am Solidarpakt aufbringen zu können. Der Osten sei mittlerweile so gut aufgestellt, „dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld“. Die Kommunen stehen unter zusätzlichem Druck, weil die Banken inzwischen wesentlich zurückhaltender bei der Kreditvergabe sind.
Die Oberbürgermeister wollen ganz offensichtlich den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen für ihre Forderungen nutzen. „Wir können nicht bis 2019 warten“, sagte Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski, der auch Chef der Ruhrgebiets-SPD ist. Entscheidend für die Hilfen dürfe nicht die Himmelsrichtung sein, sondern die finanzielle Lage der Kommunen, forderte der Essener Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD).
Der Solidarpakt II von Bund und Ländern für die neuen Bundesländer läuft von 2005 bis 2019 und hat einen Gesamtumfang von 156,6 Milliarden Euro. In den ostdeutschen Bundesländern wurde der Solidarpakt erwartungsgemäß verteidigt. „Der Osten braucht das Geld nach wie vor. Es gibt nach wie vor in weiten Teilen keine selbsttragende Wirtschaft“, sagte der Sprecher der Stadt Leipzig, Matthias Hasberg.
Ostdeutsche Ministerpräsidenten kritisierten die Debatte scharf. „Die Finanzprobleme einiger westdeutscher Kommunen resultieren gewiss nicht aus dem Solidarpakt. Insofern taugt der Osten nicht zum Prügelknaben“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) „Spiegel Online“. „Bei allen Fortschritten, die es im Osten gibt: Die Arbeitslosigkeit ist hier im Schnitt immer noch doppelt so hoch wie im Westen, und die Steuerkraft erreicht erst 55 Prozent des Westniveaus.“
Auch die Vorsitzenden der SPD-Fraktionen aller ostdeutschen Landtage wiesen die Forderung nach sofortiger Abschaffung des Solidarpaktes scharf zurück. Ostdeutschland sei auch in den nächsten Jahren auf die solidarische Unterstützung Westdeutschlands angewiesen, um am Ende des Jahrzehntes auf eigenen Beinen stehen zu können, heißt es in einem gemeinsamen Schreiben der Fraktionschefs
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) will am Solidarpakt festhalten, brachte aber einen „Ruhrsoli“ ins Gespräch. „Es muss hier eine Form der vorübergehenden, aber institutionalisierten Solidarität etwa durch einen 'Ruhrsoli' angestrebt werden“, sagte der ostdeutsche SPD-Politiker.
Ministerpräsidentin Kraft will - offenbar wie die SPD-Bürgermeister in NRW - die schwierige Lage der Kommunen zu einem Wahlkampf-Schwerpunkt machen. „Jetzt ist der Westen dran“, sagte sie in Berlin. Zwar lasse sich der Solidarpakt bis 2019 nicht ändern. Es gebe aber daneben eine Reihe von Förderprogrammen auch des Bundes. Dabei werde man auf „klare Entscheidungen in Richtung NRW“ drängen.
Auch der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Röttgen kündigte an, er wolle sich vorrangig um die Not der Kommunen kümmern. Er warnte zugleich vor unrealistischen Erwartungen. „Der Pakt ist geschlossen.“ An die Adresse der rot-grünen Landesregierung sagte er: „Die strukturellen Probleme, die Unterfinanzierung der Kommunen, müssen gelöst werden, wo sie entstanden sind - in Nordrhein-Westfalen.“ Die NRW-FDP nimmt das Problem nach Worten ihres designierten Vorsitzenden Christian Lindner ebenfalls sehr ernst.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte ein „gewisses Verständnis“ für die Forderungen. Der Grünen-Politiker machte den Oberbürgermeistern im Revier aber keine Hoffnung: „Ich sehe nicht, dass dieser Solidarpakt vorher geändert wird“, sagte Kretschmann in Stuttgart.