NS-Jäger ermitteln im Wettlauf gegen die Zeit
Eine Zentralstelle in Ludwigsburg spürt die mutmaßlichen Verbrecher auf.
Ludwigsburg. Es könnte eine ganz heiße Spur sein: In Brasilien soll es eine Akte mit einem Hinweis des amerikanischen Geheimdienstes von 1945/46 geben. Der Dienst soll damals ausdrücklich vor einem Mann gewarnt haben, der aus Deutschland einreisen und brasilianischer Staatsbürger werden wollte.
Die Amerikaner haben in dem Schreiben wohl auch NS-Verbrechen aufgelistet, die diesem Mann vorgeworfen wurden. „Solche Akten sind für uns wie Weihnachten und Ostern an einem Tag“, erklärt der Leiter der NS-Fahndungsstelle in Ludwigsburg, Kurt Schrimm. Das Problem: Die Ermittler konnten diese Akte trotz intensiver Suche bislang nicht finden.
Der Fall ist typisch für die Arbeit der von allen Bundesländern getragenen Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen: Die Ermittler gehen zunächst vagen Hinweisen nach und durchforsten Archive.
Werden die Beschuldigten samt Wohnorten identifiziert, kann es sein, dass der mutmaßliche NS-Täter während der Ermittlungen stirbt. Fast 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg handelt es sich um Hochbetagte. Leben sie noch, kann es sein, dass sie wegen ihres Gesundheitszustandes als verhandlungsunfähig eingestuft werden.
Eine kleine Welle von Anklagen steht aber nun vielleicht bevor. Das Landgericht München hatte den früheren Wachmann im Lager Sobibor, John Demjanjuk, 2011 wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 28 000 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof hatte 1969 im Fall Auschwitz festgelegt, dass für eine Verurteilung der Wächter wegen Beihilfe zum Mord die individuelle Schuld nachgewiesen werden muss. Dies war vielfach nicht möglich.
In den Vorermittlungen für den Prozess gegen Demjanjuk ging die Zentralstelle aber davon aus, dass jeder belangt werden kann, der in dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau dazu beigetragen hat, dass die Tötungsmaschinerie funktioniert. Dem widersprachen Staatsanwaltschaft und Landgericht nicht — ein Wendepunkt war erreicht.
Daraufhin nahmen die Ermittler die mutmaßlichen Aufseher von Auschwitz ins Visier. Das Ergebnis: 30 Verfahren geben sie bald an die örtlichen Staatsanwaltschaften ab, die über Anklageerhebungen entscheiden müssen. Weitere sieben Beschuldigte sollen im Ausland leben — einer ausgerechnet in Israel.