NSU-Opfer: „Sie zeigten mit Fingern auf uns“

Betroffene erzählten vor Gericht, sie seien selbst wie Kriminelle behandelt worden.

München. Gamze Kubasik spricht mit fester Stimme, aber immer wieder ist darin auch ein Zittern zu hören. „Ich versuche, mich nach außen stark zu zeigen. Innerlich sieht es nicht so aus“, sagt die 28-Jährige. Die Tochter des vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) ermordeten türkischstämmigen Kioskbesitzers Mehmet Kubasik und ihre Mutter Elif sagten am Dienstag im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München aus. „Dieser deutsche Staat wird für jeden Tropfen Blut meines Mannes Rechenschaft geben. Ich vertraue der Justiz“, sagt Elif Kubasik.

Die Frauen treten ganz in schwarz in den Zeugenstand. „Es gibt nichts mehr, was weiß ist für mich“, sagt Elif Kubasik mehr als sieben Jahre nach dem Mord. Gamze sagt, sie habe versucht, der Mutter beim Einkaufen eine weiße Bluse zu zeigen, „ob das nicht schön ist“. Aber sie habe sie nicht einmal angesehen.

Erst der Tod des geliebten Vaters und Mannes — dann die Verdächtigungen: „Dass wir mit der Mafia zu tun hätten, mit Drogengeschichten. Dass die Ermordung mit Frauengeschichten zu tun hätte — solche Gerüchte sind in die Welt gesetzt worden“, sagt die 49-jährige Elif. „Sowohl ich als auch meine Tochter konnten ein Jahr lang kaum nach draußen gehen. Sie zeigten mit Fingern auf uns.“ Und die Angst. Einer von Gamzes Brüdern wurde nach dem Mord auf der Straße verprügelt — weil sein Vater angeblich mit Drogen handelte. Ein großer Stein flog ins Fenster der Wohnung. „Ich hatte Angst, dass auch meinen Kindern etwas zustoßen könnte“, sagt Elif. Sie habe die Tat nicht verstehen können. „Denn wir hatten mit niemand irgendwelche Probleme. Wir hatten keine Feindschaften zu irgendwelchen Leuten.“ Sie habe früh den Verdacht geäußert, dass Rechtsradikale hinter der Tat stecken. Aber: „Diese Aussage wurde nicht beachtet.“

Erst 2011 wurden dieser und acht weitere Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmer dem NSU zugeordnet. Laut Anklage erschossen die Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihre Opfer mit einer Ceska-Pistole mit Schalldämpfer. Beate Zschäpe ist als Mittäterin angeklagt — sie folgt den Aussagen ohne sichtbare Regung.

Die Angehörigen kämpfen bis heute mit den Folgen der Tat. Der 18-jährige Bruder sei verschlossen und spreche nicht über den Vater, sagt Gamze. Der 13-Jährige, zur Tatzeit im Kindergarten, habe am wenigsten mitbekommen. Sie selbst leide an Angst und Schlaflosigkeit.

Elif Kubasik erkrankte an Neurodermitis. „Jeder Mensch, ob alt oder jung, ob klein oder groß, mochte meinen Mann. Mit seiner Ermordung sind all unsere Träume zerbrochen.“