OECD ist besorgt über soziale Kluft

Die Experten loben Deutschlands robuste Wirtschaft, kritisieren aber den wachsenden Niedriglohnsektor.

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Berlin. „Deutschland macht es sehr gut“, sagte José Gurria, Generalsekretär der OECD, der Organisation der 34 führenden Industriestaaten, als er am Dienstag den neuesten Deutschland-Bericht seiner Vereinigung vorstellte. Großes Lob also, und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) war sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis.

In ihrem Gutachten prognostiziert die OECD für Deutschland ein Wachstum von 1,9 Prozent in diesem und 2,3 Prozent im nächsten Jahr. Der Arbeitsmarkt sei robust, die Wirtschaft exportstark, sagte Gurria. Aber: „Um nachhaltige Erfolge zu erzielen, muss der Reformprozess gerade auch in guten Zeiten weitergehen. Für Deutschland heißt das: „Das Land muss jetzt handeln.“

Sorgen bereitet der OECD der stark angewachsene Niedriglohnsektor und der hohe Anteil von Menschen mit befristeten Arbeitsverhältnissen. Ein Mindestlohn sei nötig, auch um den Konsum anzukurbeln. Steuern und Sozialabgaben der Geringverdiener müssten sinken, dafür sollten Immobiliengewinne wenigstens mit der Abgeltungssteuer belegt werden. Das Wachstum müsse nachhaltiger werden, forderte Gurria. Und: Das umstrittene Rentenpaket von Union und SPD müsse aus Steuermitteln und nicht über die Sozialkassen finanziert werden.

In dem alle zwei Jahre vorgelegten Bericht stellt die OECD zudem fest, dass das relative Armutsrisiko und die Einkommensungleichheit in den vergangenen Jahren weitgehend unverändert geblieben seien. Gurria kritisierte auch das deutsche Bildungssystem. Aufstiegschancen junger Menschen seien in keinem anderen OECD-Land so abhängig vom Wohlstand des Elternhauses.

Allerdings hat sich die Politik immer nur zum Teil an die Vorschläge gehalten und stets das ignoriert, was gerade nicht passte. Vor zwei Jahren zum Beispiel die Kritik am schwarz-gelben Betreuungsgeld. Und auch diesmal versprach Sigmar Gabriel nur, die Einwände in der Debatte mit zu berücksichtigen. „Auch kritische Passagen sind hilfreich“. Freilich, bei der von ihm durchaus geteilten Forderung Gurrias, das Dienstwagenprivileg abzuschaffen oder Immobiliengewinne mit einer Abgeltungssteuer zu belegen, verwies der Vizekanzler immer wieder auf den Koalitionsvertrag, in dem so etwas nicht vereinbart sei.