Ökonomen: Kein Bedarf für Abbau von „kalter Progression“

Berlin (dpa) - In der Debatte über weitere Steuersenkungen sehen Ökonomen keine Notwendigkeit für weitere Schritte beim Abbau der „kalten Progression“.

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In der Vergangenheit habe es wiederholt Entlastungen bei der Einkommensteuer gegeben, die die Wirkungen der „kalten Progression“ kompensiert und für die meisten Bürger sogar überkompensiert hätten, schreiben die Steuerexpertin Katja Rietzler vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sowie Volkswirt Achim Truger von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Der Effekt der „kalte Progression“ entsteht durch das Zusammenspiel von Lohnerhöhungen, die dann höhere Steuerlast sowie Preissteigerungen.

„Kurzfristig sind die Belastungen durch die kalte Progression gering und verteilungspolitisch nicht sehr besorgniserregend“, schreiben die Wissenschaftler in einer Analyse für das von SPD-Bundestagsabgeordneten angestoßene Projekt „Steuermythen“. Durch die aktuellen Korrekturen am Einkommensteuertarif in Kombination mit den Änderungen der steuerlichen Abzugsbeträge werde die seit Jahr 2014 entstandene „kalte Progression“ bis 2016 mehr als ausgeglichen werden. Seit 1991 sei durch Steuersenkungen der Effekt mehr als kompensiert worden: „Vor diesem Hintergrund kann von einem dringenden weitergehenden Handlungsbedarf nicht gesprochen werden.“

Der Effekt der „kalten Progression“ entsteht, wenn Lohnerhöhungen nur die Inflation ausgleichen und die Kaufkraft des Arbeitnehmers nicht steigt. Durch den Tarifverlauf bei der Einkommensteuer zahlt er dann überproportional mehr Steuern. Die große Koalition dämmt das Problem durch leichte Änderungen beim Einkommensteuer-Tarif ab 1. Januar 2016 ein. Die Korrektur wird sich im Geldbeutel der Steuerzahler kaum bemerkbar machen. Die Bürger behalten einige Euro mehr im Monat. Den Staat kostet es jährlich 1,5 Milliarden Euro.

Grundsätzlich steigt bei einer Einkommenserhöhung die durchschnittliche Steuerbelastung, was der gewollte Progressionseffekt ist. Auch wenn Lohnzuwächse brutto nur zum Ausgleich der Preissteigerung führen - das reale Bruttoeinkommen also unverändert bleibt-, partizipiert der Fiskus überproportional stark an Lohnerhöhungen. Trotz des Inflationsausgleichs sinkt dann die reale Kaufkraft der Steuerzahler. Angesichts der niedrigen Preissteigerung und der Lohnerhöhungen spielt das Problem der „kalten Progression“ seit längerem aber kaum eine Rolle.

Zwischen April und Juni stiegen die Reallöhne in Deutschland gegenüber dem Vorjahresquartel um 2,7 Prozent - so stark wie seit mindestens sieben Jahren nicht mehr. Die Nominallöhne kletterten um 3,2 Prozent, während die Lebenshaltungskosten nur um 0,5 Prozent zulegten. Vor allem in Branchen mit überdurchschnittlichen Tariferhöhungen nahm die Kaufkraft der Verbraucher deutlich zu.