Veränderte Bedrohungslage in Europa Raketenschutzschirm für Deutschland? Verteidigungspolitiker wollen sich in Israel über Abwehrsysteme informieren

Berlin · Die Bundeswehr soll mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgestattet werden. Wie soll das Geld verwendet werden? Verteidigungspolitiker schauen sich in Israel nach Angeboten um.

Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 zeigen ihre Ausrüstung, die vor einem Schützenpanzer Marder liegt.

Angesichts der veränderten Bedrohungslage in Europa nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beginnen Diskussionen um einen Raketenschutzschild für Deutschland. „Wir müssen uns besser vor der Bedrohung aus Russland schützen. Dafür brauchen wir schnell einen deutschlandweiten Raketenschutzschirm“, sagte der Hauptberichterstatter im Haushaltsausschuss für den Verteidigungsetat, Andreas Schwarz (SPD), der „Bild am Sonntag“. „Das israelische System „Arrow 3“ ist eine gute Lösung.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn hatten am Mittwoch darüber beraten, wie das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur Stärkung der Truppe konkret verwendet werden soll. Die Zeitung berichtete, dabei sei es auch um eine mögliche Anschaffung des israelischen „Arrow 3“-Systems gegangen. Eine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen.

Das Verteidigungsministerium erklärte auf Anfrage, der Entwurf des entsprechenden Wirtschaftsplans werde derzeit erstellt und in das laufende parlamentarische Verfahren eingebracht. „Zu dessen genauem Inhalt kann daher zurzeit keine Auskunft erfolgen“, teilte eine Sprecherin mit.

Verteidigungspolitiker des Bundestags wollten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag nach Israel reisen und sich dort bis Donnerstag auch über Systeme der Luftabwehr informieren.

Das „Arrow“-System ist in der Lage, anfliegende ballistische Langstreckenraketen zu zerstören, und wirkt dazu sehr hoch über der Erde, bis in die Stratosphäre hinein. Das wäre eine neue Fähigkeit der Bundeswehr.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schwor die Menschen in Deutschland auf schwierigere Zeiten und Einbußen ein. Die verhängten scharfen Sanktionen gegen Russland brächten diese unvermeidlich, sagte er in einer Videobotschaft für ein Konzert für Freiheit und Frieden der Berliner Philharmoniker im Schloss Bellevue. Er zeigte Verständnis für die bei vielen aufkommenden Ängste. „Aber wir können der Angst etwas entgegensetzen: unsere Wehrhaftigkeit und unsere Mitmenschlichkeit, unseren Willen zum Frieden und den Glauben an Freiheit und Demokratie, die wir niemals preisgeben, die wir immer verteidigen werden.“ Er wisse, dass der Glaube an Freiheit und Demokratie allein keinen Panzer aufhalte. „Aber ich weiß auch dies: Kein Panzer kann diesen Glauben jemals zerstören“, sagte Steinmeier.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, plädierte für deutlich mehr Entschlossenheit in der Sicherheitspolitik. „Wehrhaftigkeit, Wehrwilligkeit, Wehrfähigkeit, das bedingt einander. Wenn ich ein Land wehrfähig mache, also die Bundeswehr entsprechend ausrüste, muss auch der Wille da sein, im Ernstfall das Land zu verteidigen“, sagte die FDP-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur.

„Die Frage ist doch jetzt, nehmen wir diese dramatische Herausforderung an, jetzt geht es nämlich um's Grundsätzliche, um Demokratie und Freiheit“, sagte Strack-Zimmermann. „Es muss endlich aufhören, dass Deutschland Intoleranz toleriert. „Es gibt Menschen und Regierungen, die kennen nur klare Ansagen. Nur wer stark ist, wird nicht angegriffen.“

In Deutschland sei es wichtig, mit der Verteidigung immer auch den Zivilschutz und den Schutz der Infrastruktur zu organisieren. Sirenen und Schutzräume seien beseitigt, Hochbunker zu Luxuswohnungen umgebaut worden.

Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sieht Deutschland für zivile Katastrophenfälle unzureichend aufgestellt. Eigentlich solle bei großflächigen, nicht militärischen Katastrophen ein Prozent der Bevölkerung versorgt werden können, sagte DRK-Generalsekretär Christian Reuter der „Welt am Sonntag“. Das wären gut 800 000 Menschen. „Tatsächlich haben wir gerade mal die erste Einrichtung zur Versorgung von 5000 Menschen in Betrieb genommen“, sagte Reuter. Die nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ausgerufene Zeitenwende in der Sicherheitspolitik müsse auch für den Zivilschutz gelten. „Statt der 700 Millionen Euro pro Jahr dafür, die jetzt im Bundeshaushalt stehen, müssten es zwei Milliarden sein, um alles Nötige finanzieren zu können.“

(dpa)