2017 Rückblick G20-Gipfel: Tränengas statt Glamour
Hamburg, meine Perle. Davon ist Anfang Juli nicht mehr viel übrig. Es ist 22 Uhr. Vom Pressezentrum des G20-Gipfels in den Messehallen zu meinem Hotel sind es ungefähr 35 Minuten zu Fuß.
„Seien Sie vorsichtig“, warnt ein Polizeibeamter an einer der Absperrungen. Die U-Bahn fährt nicht mehr.
Am Himmel knattern die Hubschrauber, immer wieder sind Sirenen zu hören. Irgendwie liegt Pulverdampf in der Luft. Die Messehallen befinden sich im linken Szeneviertel. Trotzdem kommt bis hierhin kein Autonomer, nicht einmal einer roten Maus würde es gelingen, durch den engen Polizeigürtel zu schlüpfen. Absperrgitter, Betonklötze, Wasserwerfer, Hundertschaften von Polizisten. So etwas nennt man Ausnahmezustand.
Je weiter man sich vom eigentlichen Schauplatz des G20-Gipfels entfernt, desto mehr wirkt Hamburg in dieser Nacht wie der Drehort eines Apokalypse-Films. Menschenleer. Hier und da brennt eine Mülltonne, immer wieder huschen vermummte Trupps durch die Straßen. Mad Max lässt grüßen. Die richtig heftigen Schlachten werden zwar woanders geschlagen, rund um die rote Flora. Aber auch hier unweit der Alster brennen Autos, sind Scheiben zerstört.
„Seien Sie vorsichtig“, hat der Polizist gesagt. Bin ich. Auch am Abend zuvor auf St. Pauli. Dort hat es schon die ersten Auswüchse der Gewalt gegeben. Bei der „Welcome to hell Demo‘“ liefern sich Polizei und Demonstranten heftige Rangeleien. Man selbst nimmt die Beine in die Hand, wenn die Kanone eines Wasserwerfers sich gefährlich in die eigene Richtung dreht. Obwohl man ja nur Beobachter ist. Doch darauf nimmt die Polizei keine Rücksicht. Sie kann das auch nicht wissen. Mitgehangen, mitgefangen. Tränengas trifft beim Gipfel auch auf Glamour — während es sich die Staats- und Regierungschefs am zweiten Gipfeltag in der hermetisch und weiträumig abgeschirmte Elbphilharmonie gutgehen lassen, wird vor den Absperrgittern geprügelt und geräumt. Bizarr.
Vor Beginn des Gipfels hatte ich mich unerkannt in die Rote Flora geschlichen. Der Ort des linken Widerstands. „No Cops, No Press, No Fotos“, stand an der Tür — keine Polizisten, keine Presse, keine Fotos. Trotzdem rein. Eine Viertelstunde genügt, um zu erkennen, wie gut organisiert die Proteste gegen die Mächtigen sind. Es gibt Demo-Maps, Action-Trainings, Kleiderspenden zum Wechseln bei der Flucht. Nur die Behörden haben offenbar nicht geschnallt, dass hier was Großes, vielleicht sogar Furchtbares organisiert wird.
Hamburg ist auch in einem Journalistenleben ein bleibendes Erlebnis, fast eine Grenzerfahrung, wenn man sich sein Weg zwischen Wasserwerfern, Vermummten und fliegenden Steinen suchen muss. Drinnen, im Pressenzentrum ist alles schick, alles schön, alles ruhig. Draußen wütet ein angeblich nicht aufzuhaltender Mob. Die Szenen waren unerträglich, ein linker Privatkrieg. Und selbst wenn manche Polizisten sich nicht richtig verhalten haben: Dass mit aller Härte gegen die Autonomen, die selbst vor Autos der „kleinen Leute“ nicht zurückschreckten, vorgegangen worden ist, und ja auch noch wird, war und ist richtig. Es gibt vieles zu kritisieren, viel zu fordern angesichts der Ungerechtigkeiten in der Welt, verursacht durch die Reichen und Mächtigen auf Kosten der Armen. Aber mit Gewalt verwirklicht man keine politischen Ziele, das dient der Sache absolut nicht. „G-20 in Hamburg ist eine Schnapsidee“, stand auf einem Transparent derer, die friedlich demonstriert haben. Auch das waren zum Glück viele. Richtig. Das war eine Schnapsidee, Frau Merkel und Herr Scholz.