Politik „Solidarisches Grundeinkommen“ statt Hartz IV? - Experten sind skeptisch

Berlin. „Weg mit Hartz IV - her mit dem solidarisches Grundeinkommen“. Dieser Gedanke findet in der SPD immer mehr Anhänger. Nach Einschätzung von Kritikern führt jedoch allein schon der Begriff in die Irre.

Bereits im Herbst 2017 bei seinem Amtsantritt als Bundesratspräsident hatte sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) für ein „solidarisches Grundeinkommen“ stark gemacht.

Foto: Kay Nietfeld



Bereits im Herbst 2017 bei seinem Amtsantritt als Bundesratspräsident hatte sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) für ein „solidarisches Grundeinkommen“ stark gemacht. Doch das Echo blieb selbst in den eigenen Reihen verhalten. Erst mit den provozierenden Armuts-Äußerungen des CDU-Politikers Jens Spahn vor wenigen Wochen avancierte Müllers Idee bei den Sozialdemokraten zum Polit-Schlager. Parteivize Malu Dreyer findet die angebliche Alternative zu Hartz IV inzwischen genauso verlockend wie ihr Amtskollege Ralf Stegner. In den letzten Tagen suchte Müller deshalb sein eher vages Konzept zu konkretisieren. Es sei sinnlos, weiter auf Hartz-IV-Reformen zu setzen, schrieb er in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“. Vielmehr brauche man „jetzt ein neues Recht auf Arbeit“.

Arbeitslose, die Hartz IV beziehen oder in die Grundsicherung abzurutschen drohen, sollen ein Angebot für eine unbefristete, sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle erhalten, deren Vergütung sich am Mindestlohn orientiert. Für einen Single wären das etwa 1200 Euro im Monat. Das sind rund 200 Euro mehr als im Falle von Hartz IV (inklusive Miete und Heizung). Zugleich soll es sich um eine „gesellschaftliche Tätigkeit“ in kommunaler Regie handeln. Denkbar sind hier zum Beispiel Jobs als Babysitter, Hausmeister oder Betreuer von Menschen mit Behinderung. Nach Müllers Angaben fallen bei 100.000 solcher Stellen jährliche Mehrkosten in Höhe von 500 Millionen Euro gemessen an den bloßen Hartz-IV-Aufwendungen an. Sie könnten im Rahmen des von der großen Koalition ohnehin geplanten sozialen Arbeitsmarktprogramms finanziert werden. Und wer das Angebot nicht annimmt? Der bekommt laut Müller „auch weiterhin die Sozialleistungen, die wir kennen“. Denn es gehe „um Freiwilligkeit, keineswegs, um Arbeitszwang“, erläuterte Müller. Am Ende sei der Staat solidarisch, weil er diese Menschen unterstütze und ihnen Arbeit gebe. Und umgekehrt würden diese Menschen zum Nutzen der Gemeinschaft arbeiten, schwärmte der SPD-Mann.

Allein schon die von ihm genannte Zahl solcher Jobs macht allerdings deutlich, dass das „solidarische Grundeinkommen“ auch nicht annähernd Hartz IV ablösen könnte. Gegenwärtig sind fast 4,3 Millionen erwerbsfähige Personen auf Grundsicherung angewiesen. Auch hat dieses Konzept nichts mit dem schon seit langem diskutierten „bedingungslosen Grundeinkommen" zu tun, das allen Bürgern zustünde, egal, ob sie arbeiten oder nicht. Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwege bezeichnete Müllers Idee deshalb auch als „Etikettenschwindel“. Tatsächlich gehe es um „Ein-Euro-Jobs de luxe“. Solidarisch wäre es, diese Form der Arbeit tariflich zu entlohnen, meinte Butterwegge. Ähnlich sieht das auch der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Wenn es sinnvolle Arbeit ist, die gebraucht wird, dann soll man sie marktgerecht bezahlen. Wenn es keine sinnvolle Arbeit ist, dann kann man es auch sein lassen“, sagte Brenke unserer Redaktion.

In der Unionsfraktion kann man Müllers Vorstoß ebenfalls kaum etwas abgewinnen. „Wenn man Grundsicherung bekommt und kein Druck mehr besteht, eine Arbeit anzunehmen, dann werden sich Menschen in diesem System einrichten. Und dann sind wir wieder bei der alten Arbeitslosenhilfe“, warnte der Chef der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, Peter Weiß (CDU).