Asylpolitik Streit in der Union - Seehofer: „Mutter aller Probleme“

Berlin (dpa) - Der Streit in der Union um die Migrationspolitik ist neu aufgebrochen: Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer bezeichnete die Migrationsfrage als „Mutter aller politischen Probleme“ in Deutschland und erntete dafür teils heftigen Widerspruch - auch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Foto: dpa

„Ich sag' das anders“, sagte sie am Donnerstag im RTL/ntv-Sommerinterview vor dem Hintergrund teils rassistischer und fremdenfeindlicher Demonstrationen in Chemnitz. „Ich sage, die Migrationsfrage stellt uns vor Herausforderungen. Und dabei gibt es auch Probleme.“ Es gebe aber auch Erfolge. Vom Koalitionspartner SPD und aus der Opposition gab es viel Kritik an Seehofer, in dessen Land Bayern in gut fünf Wochen gewählt wird.

Die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles forderte Seehofer auf, den unionsinternen Streit um die Asylpolitik nicht wieder anzuheizen. Der Bundesinnenminister solle „null Toleranz gegenüber Hetzern“ zeigen. Bei den Ereignissen in Chemnitz gehe es ums Ganze, „nämlich um die Frage, wie geht es weiter mit unserer Demokratie“, sagte Nahles in Berlin.

Angesprochen auf die schlechten Umfragewerte der Union hatte der Innenminister der „Rheinischen Post“ gesagt: „Wir haben erstmals eine Partei rechts der Union, die sich mittelfristig etablieren könnte, ein gespaltenes Land und einen mangelnden Rückhalt der Volksparteien in der Gesellschaft.“ Dies habe zwar „nicht nur“ mit der Migrationspolitik zu tun. „Aber die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land. Das sage ich seit drei Jahren.“ Bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im brandenburgischen Neuhardenberg hatte er zuvor gesagt, die zweistelligen Umfragewerte für die AfD in Bayern seien eine Neuerscheinung, „wo ja die Grundlage oder die Ursache dafür in der Migrationspolitik liegt“.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, erklärte: „Langsam bekomme ich den Eindruck, dass der Innenminister der Vater aller Rassismusprobleme ist.“ Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Filiz Polat, sagte, Seehofer gefalle sich in der „Rolle des Problemministers, der große Reden schwingt und einen Konflikt nach dem nächsten provoziert“ anstatt die Chancen der Einwanderungsgesellschaft zu nutzen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte sich an Seehofers Seite. „Ich glaube es ist offensichtlich, dass die Migrationsthematik die politische Landschaft und die politische Situation nachhaltig verändert hat. Und das leider zum Negativen. Das will doch niemand bestreiten“, sagte er in Neuhardenberg.

Nach dem neuen ARD-„Deutschlandtrend“ sieht die Mehrheit der Bürger die Flüchtlingspolitik kritisch. So sind zum Beispiel 69 Prozent der Befragten der Meinung, die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft sei eher schlecht oder sehr schlecht gelungen, nur 27 Prozent finden, das sei sehr gut oder eher gut gelungen.

Führende Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag versuchten, den Streit nicht eskalieren zu lassen. So sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), Seehofer habe zu Recht darauf hingewiesen, dass die Migration eine der großen Herausforderungen sei, mit denen sich die Union beschäftigen müsse.

Auch die AfD pflichtete Seehofer bei. Ihr Vorsitzender Alexander Gauland sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag): „Seehofer hat in der Analyse vollkommen recht.“ Allerdings werde ihm das nicht viel helfen, weil Merkel ihm „ununterbrochen Steine in den Weg“ lege. „Die Auswirkungen der Asylkrise, die immer noch offenen Grenzen und die Einwanderung von kriminellen Asylbewerbern haben unser Land nachhaltig zum Schlechteren gewandelt.“

In Bayern wird am 14. Oktober gewählt; der dort noch allein regierenden CSU drohen starke Verluste. Die rechtspopulistische AfD kommt im Freistaat laut Umfragen auf 13 bis 14 Prozent.

Seehofer äußerte in dem Interview auch Verständnis für die Demonstrationen in Chemnitz nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35-jährigen Deutschen. Zwei junge Männer sitzen als Verdächtige in Untersuchungshaft. Von den Behörden werden sie als Syrer und Iraker bezeichnet - allerdings gibt es Zweifel an ihrer Identität. Nach einem dritten Tatverdächtigen, einem Iraker, wird gefahndet.

Seehofer sagte der Zeitung, einer der mutmaßlichen Messerstecher hätte gar nicht erst einreisen dürfen. „Wenn wir die Regelung gehabt hätten, für die ich im Frühsommer scharf kritisiert wurde, wäre der tatverdächtige Iraker nicht ins Land gekommen. Er hatte 2016 in Bulgarien bereits einen Asylantrag gestellt und hätte an der Grenze zurückgewiesen werden können.“ Das seien Fälle, „die uns das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger kosten“.

Seehofer wollte im Asylstreit der Union die Zurückweisung von Asylbewerbern durchsetzen, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind - notfalls auch im Alleingang. Unklar ist aber, wie Einreisen umfassend verhindert werden könnten, ohne dass Deutschland zur umfassenden Kontrolle aller seiner Grenzen zurückkehrt.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, kritisierte Seehofer. „Wenn Herr Seehofer die Migration als Mutter aller Probleme bezeichnet und sich als Vater aller Lösungen präsentiert, was für eine Zukunft haben dann meine Kinder in diesem Land?“, wurde Sofuoğlu in einer Mitteilung zitiert. Die Türkische Gemeinde frage sich, ob Seehofer wirklich meine, dass Migranten verantwortlich für die rassistischen Ausschreitungen seien.