Krieg in der Ukraine Ukrainischer Botschafter fordert Scholz zu Kiew-Reise auf - und dringt auf Kampfpanzer

Berlin · Der britische Premierminister Johnson, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Österreichs Kanzler Nehammer waren bereits in Kiew. Die Stimmen, dass auch Bundeskanzler Scholz sich ein Bild vor Ort macht, werden lauter.

Bundeskanzler Olaf Scholz während einer Pressekonferenz.

Nach den Reisen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und mehreren europäischen Regierungschefs nach Kiew hat der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk Bundeskanzler Olaf Scholz aufgefordert, ebenfalls die Ukraine zu besuchen.

„Ich glaube schon, dass das ein starkes Signal sein könnte, wenn der Bundeskanzler nach Kiew reist“, sagte Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. Er betonte aber gleichzeitig, dass der SPD-Politiker dann nicht mit leeren Händen kommen sollte. „Es wäre von zentraler Bedeutung, dass der Besuch vom Kanzler Scholz gleichzeitig von neuen strategischen Entscheidungen der Ampel-Koalition begleitet würde.“

Forderung nach sofortiger Lieferung von Kampfpanzern

Gemeint sind Waffenlieferungen. Melnyk fordert die sofortige Lieferung von Leopard-Kampfpanzern, Marder-Schützepanzern, Panzerhaubitzen 2000 und Artillerieortungsgeräten vom Typ Cobra aus den Beständen der Bundeswehr. „Das alles wäre laut unserer Analyse für die Bundesrepublik durchaus verkraftbar, ohne die Landesverteidigung oder die Verpflichtungen in der Nato zu schwächen“, sagte er.

„Wir wissen, dass es mindestens 78 Leopard-Panzer gibt, die von der Bundeswehr im Moment nicht genutzt und daher auch unverzüglich geliefert werden können“, sagte Melnyk. „Außerdem haben wir ein neues Angebot der deutschen Industrie über die Herstellung von 100 Leopard-Panzern.“ Dabei seien allerdings die langen Lieferzeiten das Problem.

Melnyk forderte auch Raketen vom Typ AGM-84 Harpoon, mit denen Schiffe angegriffen werden können. Die Bundeswehr habe etwa 60 solcher Raketen, die für den Schutz der ukrainischen Küste - vor allem der Hafenstadt Odessa - eingesetzt werden könnten. „Soweit wir wissen, werden diese Waffensysteme bald sowieso von neueren Anti-Schiff-Flugkörpern RBS-15 ersetzt“, sagte Melnyk.

Der britische Premierminister Boris Johnson hatte bei seinem Besuch in Kiew am Samstag die Lieferung von 120 gepanzerten Fahrzeugen und von Anti-Schiff-Raketen zugesagt. Am selben Tag war der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer in der ukrainischen Hauptstadt. Bereits am Freitag waren eine EU-Delegation unter Leitung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der slowakische Regierungschef Eduard Heger dort.

„Selbstverständlich denke ich auch darüber nach“

Scholz hatte am Freitag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Johnson in London auf die Frage nach einer möglichen Kiew-Reise gesagt: „Über Reisepläne teilen wir beide, glaube ich, immer dann etwas mit, wenn wir losfahren.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier signalisierte am selben Tag bei einem Besuch in Finnland Interesse an einer Kiew-Reise: „Selbstverständlich denke ich auch darüber nach, wann der richtige Zeitpunkt ist für meinen nächsten Besuch in Kiew.“

Melnyk sagte, es wäre besser, wenn der Regierungschef nach Kiew kommt. Ein Besuch des Bundespräsident hätte symbolischen Charakter. „Es sollten lieber der Bundeskanzler oder andere Mitglieder der Bundesregierung kommen, die konkrete Entscheidungen über weitere massive Unterstützung für die Ukraine treffen.“

Kiesewetter: Scholz sollte sich Bild vor Ort machen

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, wie andere westliche Politikerinnen und Politiker in die Ukraine zu reisen.

„Ich wünsche mir, dass auch unser Bundeskanzler diesem Beispiel folgt und sich vor Ort ein Bild macht“, sagte der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages dem „Handelsblatt“. „Deutschland sollte seine so wichtige Scharnierfunktion in Europa ausfüllen und bei der Unterstützung der Ukraine, der Bewältigung der Krise und dem erforderlichen Erlassen von Maßnahmen, die hoffentlich zum Kriegsende führen, vorangehen.“

Bundeskanzler Scholz sichert Selenskyj bei Telefonat „volle Unterstützung Deutschlands“ zu

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj "den Menschen in der Ukraine die Solidarität und volle Unterstützung Deutschlands" zugesichert. Das teilte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann am Sonntag in Berlin mit. "Der Bundeskanzler verurteilte die abscheulichen Kriegsverbrechen des russischen Militärs in Butscha und in anderen Orten in der Ukraine", hieß es dazu weiter.

Scholz und Selenskyj telefonierten laut Hoffmann im Rahmen ihrer regelmäßigen Kontakte miteinander. Der Bundeskanzler habe sich "über die aktuelle Lage und zum Verhandlungsprozess zwischen der Ukraine und Russland informiert". Zudem sei es um aktuelle Möglichkeiten der weiteren Unterstützung der Ukraine gegangen.

Die Bundesregierung werde zusammen mit ihren internationalen Partnern alles daransetzen, dass "die Verbrechen schonungslos aufgeklärt und die Täter identifiziert werden, damit sie vor nationalen und internationalen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden", machte Scholz den Angaben zufolge weiter deutlich. Scholz und Selenskyj hätten verabredet, weiter eng in Kontakt zu bleiben.

Nach anderen europäischen Spitzenpolitikerinnen und -politikern hatten am Samstag der britische Premierminister Boris Johnson und Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer in Kiew mit Selenskyj gesprochen und ihm weitere Unterstützung zugesagt. In Deutschland gibt es Forderungen an Scholz, ebenfalls in die ukrainische Hauptstadt zu reisen. Zudem gab es wiederholt Vorwürfe gegen Kanzleramt und Verteidigungsministerium, Waffenlieferungen an die Ukraine zu verschleppen.

(dpa/afp)