Kritiker sprechen von Hetze Umstrittener Autor Sarrazin will SPD nicht verlassen
Berlin (dpa) - Die SPD fordert, die SPD droht - aber der Gegner in den eigenen Reihen bleibt stur: Keinesfalls will Thilo Sarrazin, langjähriger SPD-Politiker und umstrittener Autor, freiwillig gehen.
Es liegt ihm fern, seiner Partei einen Gefallen zu tun und selbst auszutreten.
Sarrazin hat zwei frühere Parteiausschlussverfahren überstanden. Am Donnerstag präsentierte er sein neuestes Buch „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“, das von vielen Seiten als ausländerfeindlich kritisiert wurde. Der SPD reicht es wieder einmal.
2011 wurde Sarrazins Verbleib in der Partei als Niederlage für die SPD-Spitze beurteilt. Diesmal will man im Berliner Willy-Brandt-Haus eine Blamage vermeiden. Allerdings nicht, indem man das Thema einfach ignoriert, wie manche Menschen an der Parteibasis rieten. Sondern nach SPD-Art mit einer Art Arbeitsgruppe. Sie soll erst einmal prüfen, was der ehemalige Berliner Finanzsenator überhaupt zu Papier gebracht hat. Aus SPD-Kreisen hieß es, die Parteiführung habe Experten damit beauftragt, sich die „Feindliche Übernahme“ genau und ohne zeitliche Befristung anzuschauen.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gehören dazu unter anderem Gesine Schwan, die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, und die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin als Rechtsexpertin. Sie sollen prüfen, ob Sarrazin die Auflagen von 2011 einhält: sich nicht parteischädigend zu verhalten und auf Distanz zu biologistischen Argumenten zu gehen. Die Hürden für einen Parteiausschluss sind generell hoch, damit er nicht als Instrument missbraucht werden kann, missliebige Menschen loszuwerden.
Zu Sarrazins neuen Thesen äußerte sich die Parteispitze deutlich: „Das Präsidium der SPD lehnt die dort vertretenen Positionen ausdrücklich ab“, teilte das Gremium mit. Zum Selbstverständnis der Sozialdemokraten gehöre es, sich „allen menschenfeindlichen Bestrebungen“ zu widersetzen. „Wer wie Thilo Sarrazin dieses Selbstverständnis nicht (mehr) mittragen will, sondern Menschen pauschal diffamiert und damit bei anderen massive Ängste schürt, sollte sich eine andere politische Heimat suchen.“
Der frühere Ministerialbeamte, Staatssekretär, Senator und Bundesbanker erwiderte relativ kühl: „Ich fühle mich in der SPD, in der ich aufwuchs, nach wie vor gut aufgehoben.“ Er sei seit 45 Jahren Mitglied der SPD, fügte er hinzu, um dann zwei SPD-Idole ins Spiel zu bringen: Im Jahr seines Eintritts habe die Regierung von Kanzler Willy Brandt den „umfassenden Zuzugsstopp für Gastarbeiter“ erlassen, sagte Sarrazin. Auch der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt habe sich in seinen Büchern „wiederholt über die kulturellen Gefahren muslimischer Einwanderung ausgelassen“. 1973 trat der Anwerbestopp für neue Gastarbeiter in Kraft.
Es folgten Ratschläge von Sarrazin, der bei der Pressekonferenz zur Buchvorstellung von mehreren Leibwächtern der Polizei begleitet wurde. Beim Erscheinen seines ersten Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ im Jahr 2010 habe die SPD bei 30 Prozent gelegen. Nun seien es weniger als 20 Prozent in Umfragen. „Hätte man in der Politik meine damaligen Analysen intensiver studiert und auch mal gelesen, wäre es meiner eigenen Partei besser ergangen, und es gäbe heute keine AfD im Bundestag.“
Ein weiterer Aufrührer in der SPD setzte noch einen drauf. Heinz Buschkowsky, früher Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln und am Donnerstag Laudator für Sarrazin, meinte, er würde dem Buch bei manchen Einschätzungen deutlich widersprechen. In seinem Bezirk Neukölln sei die Entwicklung allerdings so wie dargestellt. „Und sie ist in Teilen noch schlimmer, als er es beschreibt. Aber wenn er es beschreiben würde, wie es ist, wäre das Ausschlussverfahren schon am Laufen.“
Das Ende der Auseinandersetzung zwischen der traditionsreichen, aber derzeit krisengeplagten Partei und ihrem Abweichler ist nicht abzusehen. „Unsere Demokratie lebt von einem breiten Meinungsspektrum und die Freiheit der Meinung ist für sie schlicht konstitutiv“, schreibt die SPD. „Aber sie hat aus gutem Grund auch Grenzen.“