Verfassungsschutz warnt vor NSU-Nachahmungstaten
Berlin (dpa) - Von manchen Rechtsextremisten werden die NSU-Terroristen als Helden gefeiert. Kein Wunder, dass der Verfassungsschutz vor Nachahmern warnt. Als größte Gefahr sehen die Experten jedoch den islamistischen Terrorismus.
Und als größte Schmach den eigenen Ansehensverlust.
Angesichts wachsender Gewaltbereitschaft in der rechtsextremen Szene befürchtet der Verfassungsschutz die Bildung weiterer Terrorzellen. „Wir haben keine konkreten Hinweise, halten aber die Gefahr für gegeben und sind deswegen wachsam“, sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch bei der Vorstellung des Verfassungsberichts 2011. Trotzdem geht die größte Gefahr nach Ansicht des Bundesamtes weiterhin vom islamistischen Terrorismus aus.
Friedrich (CSU) stellte den Bericht zusammen mit dem scheidenden Verfassungsschutzchef Heinz Fromm in Berlin vor, der wegen der Vernichtung von Akten zur Neonazi-Szene zum Monatsende vorzeitig in den Ruhestand geht. Zu seinem Nachfolger berief das Bundeskabinett am Mittwoch den Unterabteilungsleiter für Terrorismusbekämpfung im Bundesinnenministerium, Hans-Georg Maaßen.
Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist im vergangenen Jahr von 9500 auf 9800 Personen gestiegen, die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten um 1,5 Prozent von 15 905 auf 16 142. Angesichts dieser Zahlen warnt der Verfassungsschutz davor, dass sich Rechtsextremisten die erst nach Jahren aufgeflogene Zwickauer Terrorzelle zum Vorbild nehmen könnten. „Vor dem Hintergrund einer stark durch Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung geprägten rechtsextremistischen Szene können vergleichbare Radikalisierungsverläufe für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden“, heißt es im Verfassungsschutzbericht.
Die Parteien aus dem rechten Spektrum verlieren hingegen Anhänger. Die Hoffnungen der NPD, durch eine Fusion mit der DVU zu einem Aufschwung zu kommen, hätten sich nicht erfüllt, berichtete Fromm.
Trotz der steigenden Gewaltbereitschaft in der rechten Szene bleibt die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus der Schwerpunkt der Verfassungsschutzarbeit. „Unser Hauptaugenmerk ist nach wie vor auf den islamistischen Terrorismus gerichtet“, sagte Fromm. Er wies darauf hin, dass Terrororganisationen wie Al-Kaida zwar geschwächt seien. Stattdessen planten aber verstärkt Einzelpersonen und Kleinstgruppen Anschläge. Fromm sprach von einem „individuellen Dschihad“.
Massiv gestiegen ist auch die Gewaltbereitschaft der autonomen linken Szene. Die Angriffe richten sich laut Bericht insbesondere gegen Rechtsextremisten oder Polizisten. Insgesamt wurden 1 157 Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund registriert, das ist ein Anstieg um 20 Prozent. Zum gewaltbereiten Spektrum zählen rund 7 100 Personen.
Die Linkspartei hat der Verfassungsschutz weiter im Visier. Dem 44-köpfigen Parteivorstand gehörten 16 Mitglieder offen extremistischer Zusammenschlüsse an, zwei davon seien zusätzlich Mitglieder in dem trotzkistischen Netzwerk „marx 21“, heißt es im Bericht. Die Partei versammele unter dem Begriff des Pluralismus unterschiedliche Kräfte, „die das Ziel einer grundlegenden Veränderung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung verfolgen“.
Friedrich nahm das wegen Ermittlungspannen im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden angeschlagene Bundesamt in Schutz und verwies auf Erfolge bei der Vereitelung islamistischer Terroranschläge. Der Minister bekräftigte allerdings, dass der Verfassungsschutz grundlegend reformiert werden müsse. Auch das Zusammenlegen einiger der 16 regionalen Geheimdienste will er prüfen. Das Bundesamt soll seiner Meinung nach allerdings nicht an Bedeutung verlieren.
Managen soll die Reform der Jurist Maaßen, den Friedrich gegen Kritik in Schutz nahm. „Er ist ein ausgewiesener Experte, ein brillanter Jurist“, sagte der CSU-Politiker. Die Grünen hatten zuvor die Rolle Maaßens in der Affäre um den jahrelang unschuldig im US-Gefängnis Guantánamo inhaftierten Murat Kurnaz kritisiert. Der Ministerialdirigent war damals Referatsleiter für Ausländerrecht im Bundesinnenministerium und für die rechtliche Begründung einer Einreiseverweigerung für den in Deutschland geborenen Türken zuständig.
Friedrich verwies darauf, dass die Verantwortung für den Fall Kurnaz eine rot-grüne Bundesregierung mit dem Grünen-Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer zu tragen habe. „Das jetzt an der rechtlichen Bewertung eines Referatsleiters im Innenministerium festzumachen, finde ich dreist“, sagte Friedrich.