Flüchtlingserfassung Viele Ausländerbehörden können keine Fingerabdrücke nehmen
Berlin/Nürnberg (dpa) - Mehr als 90 Prozent der Ausländerbehörden in Deutschland können laut einem Medienbericht keine Fingerabdrücke von Asylbewerbern nehmen und diese mit dem Ausländerzentralregister vergleichen.
„Schätzungsweise maximal zehn Prozent“ der Ausländerbehörden besäßen ein solches Gerät, berichtete am Dienstag die „Welt“ unter Berufung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg.
Das BAMF selbst nimmt seit Herbst 2016 von allen Flüchtlingen Fingerabdrücke und kann laut Behördenchefin Jutta Cordt dadurch Mehrfachidentitäten im Asylverfahren ausschließen. Nun seien die Ausländerbehörden „in der Pflicht“, sagte Cordt der „Passauer Neuen Presse“: „Sie müssen die Fingerabdrücke von allen Menschen nehmen, die sich bei ihnen melden, und die Daten mit dem Zentralregister abgleichen.“
Die Ausländerbehörden sind etwa für die Sicherung des Lebensunterhaltes der Migranten zuständig, für Duldungen und Abschiebungen. Das Thema soll nun auf der Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Donnerstag besprochen werden.
Städtetag und Landkreistag wiesen die Kritik zurück. Seit Einführung des Ankunftsnachweises sei Sozialbetrug nur noch mit großer krimineller Energie möglich - etwa durch Fälschen des Dokumentes, sagte der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Hans-Günter Henneke. Die Sozialämter und Jobcenter ließen sich das Dokument vorlegen, „so dass jeder Flüchtling nur als ein und dieselbe Person Sozialleistungen beantragen kann“. Zumindest gelte das für alle seit Herbst letzten Jahres erfassten Personen.
Erst am Montag hatte das Amtsgericht Hannover einen Asylbewerber, der mit sieben falschen Identitäten zu Unrecht 21 700 Euro kassiert hatte, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Prozess war der erste in Niedersachsen nach Bekanntwerden von mehr als 300 ähnlicher Verdachtsfälle.
Doch auch der Städtetag betonte, mit dem Ankunftsnachweis erhalte jeder Flüchtling „ein fälschungssicheres Identitätspapier mit allen biometrischen Angaben“. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sagte: „Erneut flächendeckend von Flüchtlingen Fingerabdrücke zu nehmen, um Leistungsmissbrauch zu verhindern, wäre ganz unverhältnismäßig und würde keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprechen.“
Hinter der Diskussion steht die Vermutung, dass einige Asylbewerber trotz Gegenmaßnahmen weiterhin Sozialleistungen missbrauchen könnten. Auch ein Ankunftsnachweis könnte theoretisch gefälscht werden - dann wäre eine zweifelsfreie Identifizierung nur mithilfe der Fingerabdrücke möglich, die dann nochmals genommen und mit der Kerndatenbank abgeglichen werden müssten.
Laut der „Welt“ sind mittlerweile zwar alle Ausländerbehörden an das Ausländerzentralregister angeschlossen. „Allerdings sind nicht alle Ausländerbehörden technisch in der Lage, Fingerabdrücke zu registrieren und zu erfassen“, sagte eine BAMF-Sprecherin der Zeitung. Insgesamt seien etwa 13 900 Behörden aus den Bereichen Aufenthalt und Asyl, Polizei, Sicherheit und Justiz sowie andere Nutzer an das System angeschlossen.
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, rechnet damit, dass die Kommunen bald flächendeckend Fingerabdrücke von Flüchtlingen erfassen können. „Ich denke, wenn wir in ein, zwei Monaten darüber reden, wird das funktionieren“, sagte Landsberg dem SWR. Ein Gespräch zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und dem ehemaligen BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise im Kanzleramt habe ergeben, dass mit Geld des Bundes 15 „Musterausländerbehörden“ die Erfassung von Fingerabdrücken und den Datenaustausch ausloten sollten.
Das Problem seien jedoch immer noch die Datenschnittstellen, sagte Landsberg. „Jeder hat sein eigenes System. Das geht alles nicht von heute auf morgen.“
Die Unternehmensberatung McKinsey sieht laut der „Welt“ derweil Personalmangel in den Ausländerbehörden. Das habe zur Folge, dass Duldungen „teilweise auf Basis einer lediglich oberflächlichen Einschätzung“ verlängert würden.