Schüsse im Hinterhof Vor 50 Jahren starb Benno Ohnesorg
Berlin (dpa) - Die Gedenktafel an der Deutschen Oper in Berlin trägt einen schlichten Namen: „Der Tod des Demonstranten“. Auf dem Relief des Bildhauers Alfred Hrdlicka zeichnet sich ein lebloser Körper ab.
Es ist der Körper von Benno Ohnesorg, der nur wenige Meter von hier entfernt am 2. Juni 1967 erschossen wurde.
Im Hinterhof der Krummen Straße 66 verblutete der Student nach den Schüssen des Polizisten Karl-Heinz Kurras. Eine Informationstafel erinnert an die Tat, die vor 50 Jahren die Studentenbewegung radikalisierte.
An jenem Frühlingsabend im Juni 1967 versammeln sich direkt gegenüber der Oper auf der anderen Straßenseite die Studenten. Sie protestieren gegen den Besuch des Schahs von Persien und dessen Gewaltregime. Als der Schah und seine Frau Farah Diba begleitet von Berlins Regierendem Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) in der Oper verschwinden, um Mozarts „Zauberflöte“ zu hören, greifen draußen die Polizisten zu ihren Schlagstöcken.
Die Demonstranten werden auseinandergetrieben, Fotos zeigen blutende junge Männer und Frauen. In einer neuen RBB-Dokumentation spricht ein damaliger Student von ungewöhnlicher Brutalität der Polizei, die damals alle überrascht habe. Gemeinsam mit anderen flieht der 26-jährige Ohnesorg in die Krumme Straße. Polizisten verfolgen die Demonstranten bis in den Innenhof.
Der Kriminalpolizist Kurras, der an dem Abend als Zivilfahnder und sogenannter Greifer auf die Demonstranten angesetzt ist, schießt in dem Getümmel Ohnesorg aus kurzer Distanz in den Hinterkopf. Kurras wird später vor Gericht freigesprochen, obwohl einige seiner Aussagen als unglaubwürdig eingestuft werden. Viel später stellt sich heraus, dass Kurras nebenbei für die Staatssicherheit der DDR spionierte. Mit dem tödlichen Schuss hatte die Stasi nach allem, was man heute weiß, aber wohl nichts zu tun.
Das Foto des sterbenden Benno Ohnesorg wird zum Symbol des Tages - und einer Epoche: Ein junger Mann liegt der Länge nach auf dem Boden, fast friedlich, die Augen geschlossen. Man sieht Blutspritzer, auch sein Hinterkopf ist voller Blut. Eine junge Frau hält seinen Kopf, ihren entsetzten Blick zur Seite gerichtet.
Später wird aus dem 2. Juni 1967 der „Tag, der die Republik veränderte“. Zum 30. Jahrestag im Jahr 1997 schrieb die Tageszeitung „taz“: „Der 2. Juni war die Zäsur.“ Der 1962 geborene Historiker Eckard Michels weist in seinem jetzt erschienenen Buch „Schahbesuch 1967 - Fanal für die Studentenbewegung“ (Ch.Links Verlag) darauf hin, dass in der Geschichtsschreibung der westdeutschen Protestbewegung eher von den „67ern“ als von den „68ern“ gesprochen werden müsste. 1967 sei das entscheidende Jahr gewesen.
Nach dem 2. Juni 1967 radikalisierte sich die Studentenbewegung, spätestens nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 verließ die Studentenrevolte die Universitäten der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Es folgten terroristische Gruppen wie die RAF, es folgten Bürgerbewegungen und viel später schließlich eine neue Partei: die Grünen.
Spätere Terroristen wie Gudrun Ensslin begründeten die Hinwendung zur Gewalt mit der Ermordung Ohnesorgs. 1972 gründete sich in Berlin die Terrorgruppe Bewegung 2. Juni, die 1975 den Berliner CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz entführte und Gewalttäter aus dem Gefängnis freipresste.
In dem ARD-Dokumentarfilm „Wie starb Benno Ohnesorg?“, der am Montag ausgestrahlt wurde, bezeichnet eine Zeugin Ohnesorgs Tod als „unglaublichen Anschub“ für die Protestbewegung. Christian Semler, damals aktiv im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), schrieb: „Nach dem 2. Juni waren Tausende von Stundenten vom Gefühl der Gleichzeitigkeit weltweiter Erhebungen durchdrungen.“
Der Tag sei „zweifelsohne der Ausgangspunkt der Studentenbewegung gewesen“, sagte auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar in einem Interview. Durch die Schüsse auf Ohnesorg sei der Funke vom Campus der Freien Universität auf andere westdeutsche Hochschulen übergesprungen. „Es herrschte eine große Verunsicherung, ob man es mit den Anzeichen eines Polizeistaates zu tun habe.“
Aus der außerparlamentarischen Opposition sprossen auch neue Ideen und Lebensmodelle. Was die NS-Zeit verschüttet und unterdrückt hatte, lebte wieder auf: Marxismus, Psychoanalyse, die freie Liebe und der Traum der klassenlosen Gesellschaft. Der Philosoph Herbert Marcuse (1898-1979) hielt an der Freien Universität eine Vortragsreihe mit dem Titel „Das Ende der Utopie.“
Doch jenseits der politischen Umwälzungen bleibt die persönliche Trauer. Lukas Ohnesorg kam erst nach dem Tod seines Vaters Benno zur Welt. Seine damals schwangere Mutter Christa war bei der Demonstration an der Deutschen Oper dabei gewesen, aber früher nach Hause gegangen. Sein Vater sei so jung gestorben, sagt Lukas Ohnesorg heute. „Schade, dass ich ihn nie kennengelernt habe.“