Analyse Warum die SPD besser als ihr Ruf ist

Berlin · Schockierende Umfrageergebnisse, Grantler an der Seitenlinie und stolpernde Spitzen - die SPD hat es wirklich nicht leicht. Dabei ist sie besser als ihr Ruf. Eine Analyse.

Andrea Nahles, Bundesvorsitzende der SPD, und Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, besprechen sich am Sonntag vor Beginn der Klausurtagung.

Foto: dpa/Gregor Fischer

Sigmar Gabriel und Gerhard Schröder als Grantler an der Seitenlinie, Andrea Nahles und Olaf Scholz als stolpernde Spitzen, dazu jede Menge GroKo-Gegner auf der Tribüne und schockierende Umfrageergebnisse. Die SPD hat es wirklich nicht leicht.

Dabei ist sie besser als ihr Ruf. Was sie in den letzten Monaten, gipfelnd in der Klausur dieses Wochenendes, unternahm, ist der ernsthafte Versuch einer Schärfung des eigenen Profils. Auch der Union, die sich jetzt noch so unangreifbar wähnt, wird ein ähnlicher Prozess bevorstehen, sobald Angela Merkel abgetreten ist.

Einige Vorschläge sind zukunftsweisend

Die Vorschläge der Sozialdemokraten sind zukunftsweisend, eine Agenda 2030. Das gilt erst Recht, wenn man mitzählt, was in den letzten Jahren bereits um- und durchgesetzt wurde. Die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie etwa, inklusive Gute-Kita-Gesetz, der Mindestlohn, die Rentenreformen, die Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Jetzt werden überall weitere, große Schritte vorgeschlagen. Zunächst in der Arbeitsmarktpolitik. So ist die SPD die erste Partei, die soziale Antworten auf die moderne Arbeitswelt zu geben versucht. Damit wird sie wählbar für das neue Prekariat der scheinselbstständigen Dienstleister und der unterbezahlten Home-Office-Programmierer. Die Beschlüsse hierzu sind weit wichtiger als das, was im Bereich Hartz IV passieren soll. Das soll umbenannt - aus „Raider“ wird jetzt „Twix“ - und entschärft werden. Nicht aus echter Notwendigkeit, sondern aus purem Opportunismus gegenüber der innerparteilichen Linken. Viel dringlicher wäre stattdessen ein wirksames Programm gegen steigende Mieten - inklusive der Abschaffung der Möglichkeit zur Umlage der Grundsteuer auf die Mieter - und für mehr Steuer- und Vermögensgerechtigkeit. Da mangelt es noch an Mut.

Was sich ändern muss

Und dennoch: Die alten Zeiten kommen mit noch so viel Klausuren nicht wieder zurück, 30 Prozent bundesweit sind inzwischen so unerreichbar für die SPD wie 40 Prozent für die Union. Denn die Konkurrenz der anderen Parteien verschwindet nicht wieder.

Wer die Ausländer raus haben will, hat die AfD. Wer den CO2-Ausstoß möglichst rasch senken will, die Grünen. Die höchsten Mindestlöhne bieten die Linken, die besten Geschäftserwartungen für Gewerbetreibende und Vermieter wiederum darf man von der FDP erwarten. Jedes Interesse findet neuerdings seine Partei.

Mit dem neuen Programm kann die SPD immerhin von sich sagen, dass sie sich nicht in ihr Schicksal ergibt. Sie kämpft mit sich und um die Wähler, ohne in Radikalisierung zu verfallen. Politische Solidität ist auch eine Tugend, die die SPD als linke Volkspartei der Mitte nie aufgeben sollte. Sondern mit der sie offensiver werben muss. Freilich, wenn die Protagonisten an der Seitenlinie und auf der Tribüne nicht etwas solidarischer werden und die auf dem Spielfeld nicht etwas geschickter agieren, wird alles Mühen nicht viel nutzen.