Studie Was ist wichtiger - Freiheit oder Gleichheit?
Bundesbürger sind über Vorrang bei gesellschaftlichen Werten uneins.
Berlin. Die Bundesbürger haben eine widersprüchliche Haltung zur Freiheit in Deutschland. Einerseits ist das subjektive Freiheitsgefühl so stark ausgeprägt wie selten zuvor. Andererseits glauben immer mehr Menschen, dass man mit politischen Meinungsäußerungen vorsichtig sein sollte. Zu diesem Ergebnis kommt das Heidelberger John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung in seinem aktuellen "Freiheitsindex", dem eine repräsentative Allensbach-Umfrage zugrunde liegt.
"Freiheit ist das einzige was zählt", singt Marius Müller-Westernhagen in einem seiner populärsten Hits. Der große Rest der Bevölkerung ist da eher gespalten. Bei der Frage, ob Freiheit oder eine möglichst große Gleichheit wichtiger seien, liegen beide mit jeweils etwa 45 Prozent Zustimmung gleichauf. In den Jahren zwischen 2008 und 2015 hielten zum Teil noch deutlich mehr Bürger die Freiheit für wichtiger als die Gleichheit. Eine Erklärung für den Trend könnte sein, dass die Armuts- und Reichtums-Debatte in letzter Zeit sehr intensiv in Deutschland geführt wird.
Auch die Zahl der Anhänger von Verboten - etwa von ungesunden Lebensmitteln oder hohen Parteispenden - ist gegenüber 2015 um 1,5 Prozentpunkte auf 38,9 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sagen 48 Prozent, sie fühlten sich sehr frei in Deutschland. In der langjährigen Betrachtung ist das ein Spitzenwert. Angesichts der Terroranschläge in Paris, Brüssel oder Nizza ließe sich vermuten, dass die meisten Menschen die westliche Kultur und den westlichen Lebensstil bedroht sehen. Tatsächlich sagt das aber nur rund jeder dritte Befragte (34 Prozent). Davon wiederum machen 40 Prozent die Flüchtlinge verantwortlich und 32 Prozent den Islam. 21 Prozent sehen den Terrorismus als Hauptursache.
Diese Anteile sind insofern bemerkenswert, weil den Befragten hier keine möglichen Antworten vorgegeben waren. Zugleich geben nur noch 57 Prozent an, sie könnten ihre politische Meinung frei äußern. Vor 25 Jahren waren es noch fast 80 Prozent. Parallel dazu ist der Anteil derer, die das verneinen, seit 1990 um zwölf auf 28 Prozent gestiegen.
Auch wenn diese Befunde "nicht bis ins letzte logisch" seien, müsse man die Entwicklung ernstnehmen, erklärte der Kommunikationswissenschaftler Thomas Petersen. Denn sie deute auf "ein zunehmend gespanntes Klima in der öffentlichen Diskussion hin." Schon frühere Umfragen hätten gezeigt, dass bei Themen wie Einwanderung oder Islam "erhebliche Teile der Bevölkerung" den Eindruck hätten, dass man darüber nicht offen reden könne, wolle man sich "nicht den Mund verbrennen".
Was kennzeichnet eigentlich den westlichen Lebensstil? Auch hier gab es keine möglichen Antworten als Vorgaben. Umso erstaunlicher, dass für eine relative Mehrheit von 31 Prozent die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau an vorderster Stelle rangiert. 27 beziehungsweise 21 Prozent sehen in der Meinungs- und Pressefreiheit beziehungsweise in den allgemeinen Freiheitsrechten das charakteristische Merkmal des westlichen Lebensstils.
"Dass Gleichberechtigung und Pluralismus ganz oben stehen, ist eine außerordentlich erfreulicher Befund und gibt Anlass zum Optimismus", meinte die Direktorin des Heidelberger Freiheitsforschungs-Instituts, Ulrike Ackermann.