Wertvorstellungen von Bürgern und Politikern gehen auseinander
Berlin/Köln (dpa) - Die Wertvorstellungen von Bürgern und Politikern klaffen zunehmend auseinander. Mandatsträger aus Bund, Ländern und Kommunen halten abstrakte Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität für besonders wichtig.
Die Bevölkerung setzt dagegen eher auf konkrete Tugenden wie Ehrlichkeit, Respekt oder Zuverlässigkeit. Das ergab eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov, deren Ergebnisse der Nachrichtenagentur dpa vorliegen.
YouGov hatte zwischen Anfang Juni und Mitte Juli in mehreren Etappen mehr als 1000 Volksvertreter aus Bund, Ländern und Kommunen und mehrere tausend Bürger befragt, um die Wertvorstellungen von Bürgern und Politikern zu vergleichen. Bereits 2011 hatte das Institut eine solche „Wertestudie“ veröffentlicht. Damals hatten beide Seiten - Bürger wie Politiker - angegeben, dass Ehrlichkeit bei ihnen ganz oben auf der Werteskala steht. Bei der Bevölkerung war das Votum aber weit eindeutiger ausgefallen als bei den Mandatsträgern.
In der aktuellen Umfrage zufolge rangiert Ehrlichkeit bei den Bürgern immer noch weit vorne. Bei den Mandatsträgern streiten neben Ehrlichkeit dagegen die Gemeinschaftswerte Solidarität und Gerechtigkeit um den ersten Platz. „Gerechtigkeit ist für die Volksvertreter der Top-Wert“, sagte YouGov-Vorstand Holger Geißler. Das gelte vor allem für Abgeordnete der Linken, Grünen und SPD.
„Ich habe mich gefragt, ob viele Politiker hier als Antwort in ihren Parteiprogrammen geblättert haben, so abstrakt kommen mir die Antworten teilweise vor“, sagte Joachim Klewes. Er ist Leiter der Stiftung Change Centre Foundation, die an der Studie beteiligt war.
Die Mandatsträger nennen an vorderster Stelle eher abstrakte Werte wie Gerechtigkeit (63 Prozent), Freiheit (53 Prozent) und Solidarität (51 Prozent). Bei den Bürgern sind die Präferenzen weniger eindeutig, kein Wert erreicht die 50-Prozent-Schwelle. Gerechtigkeit etwa wird auch von den Bürgern häufig genannt (43 Prozent). Ihnen ist laut Studie aber vielmehr ein Kanon von konkreteren Werten wichtig - wie Respekt (44 Prozent), Ehrlichkeit (41 Prozent), Familie (39 Prozent), Zuverlässigkeit (33 Prozent) oder Toleranz (31 Prozent).
Die Unterschiede im Werteverständnis zwischen dem Volk und seinen Volksvertretern werde größer, stellen die Forscher fest. „Werte-Diskrepanzen kommen immer dann zustande, wenn die Lebenswirklichkeiten sich stark unterscheiden. Ich fürchte, das ist zwischen Politikern und Bürgern oft der Fall“, sagte Klewes. „Die Volksvertreter müssen näher an ihr Volk rücken, dann kommt man auch in den Werten zusammen.“
Der Abstand zwischen Bürgern und ihren Vertretern ist laut Studie je nach Partei unterschiedlich groß: SPD und Linke sind demnach wertemäßig am weitesten von ihren Anhängern entfernt, die FDP ist ihren Wählern hier am nächsten.
Einig sind sich Bürger und Abgeordnete allerdings an anderer Stelle: Beide Seiten meinen, dass vor allem Eltern, Erzieher und Lehrer in der Gesellschaft Werte vermitteln und nicht so sehr Politiker und schon gar nicht Experten und Prominente.
Eine weitere Übereinstimmung: Bevölkerung und Politiker sind der Ansicht, dass Werte in den vergangenen fünf Jahren grundsätzlich unwichtiger geworden sind. Die Bürger (55 Prozent) sind noch etwas häufiger dieser Meinung als die Mandatsträger (39 Prozent).