„Brauchen digitale Aufklärung“ Wird die Gefahr durch Cyberangriffe unterschätzt?
Potsdam (dpa) - Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sieht eine große Gefahr von Einflussversuchen aus dem Ausland im Bundestagswahlkampf - insbesondere aus Russland.
Im US-Wahlkampf habe es solche Versuche offenbar gegeben, sagte Maaßen bei einer Cybersicherheits-Konferenz des Hasso-Plattner-Instituts. Ob das auch in Deutschland passiere, werde sich zeigen. Die Entscheidung darüber werde im Kreml getroffen, sagte Maaßen. Die Chefs des Bundeskriminalamts (BKA) und des Bundesnachrichtendienstes (BND), Holger Münch und Bruno Kahl, warnten ebenfalls vor wachsenden Gefahren im Cyberraum. Spionage, Sabotage und Kriminalität im Internet nehmen zu.
Russland wird seit längerem Einflussnahme auf Wahlkämpfe im Ausland vorgeworfen. Kremlchef Wladimir Putin hatte diese Vorhaltungen erst am Dienstag bei einem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Sotschi zurückgewiesen. Merkel wiederum hatte dort erklärt, sie habe keine Angst vor einer möglichen russischen Einmischung in den Wahlkampf. Aber sie wisse natürlich, dass die „hybride Kriegsführung“ in der russischen Militärdoktrin durchaus eine Rolle spiele.
Maaßen beklagte, gegenüber der vergangenen Bundestagswahl 2013 hätten die Versuche der Einflussnahme insgesamt zugenommen. Zuletzt habe es mehrere Cyberangriffe auf politische Stellen gegeben. „Wir stellen eine zunehmend aggressive Cyberspionage fest.“ Hinzu kämen zahlreiche Versuche, gezielt Desinformationen zu streuen. Als Beispiele nannte er den Fall Lisa - die angebliche Vergewaltigung eines deutsch-russischen Mädchens - oder eine Kampagne, die darauf abgezielt habe, Bundeswehrsoldaten in Litauen in Misskredit zu bringen. Auch SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz zum Beispiel sei zuletzt betroffen gewesen - durch die „plumpe Fake News“, Schulz' Vater sei angeblich KZ-Kommandant gewesen.
Da Wahlkämpfe heute verstärkt im Internet geführt würden, verschärfe sich das Problem, sagte Maaßen. Die intensive Nutzung sozialer Netzwerke sei ein ideales Einfallstor zur Verbreitung von Fehlinformationen. Maaßen mahnte, die Gefahren im Cyberraum nähmen insgesamt zu. Er plädierte dafür, auch Gegenschläge zu ermöglichen, um Infrastrukturen von Cyber-Angreifern „plattmachen“ zu können.
BND-Chef Kahl sagte, einige Staaten investierten massiv in Cyber-Angriffskapazitäten - etwa der Iran, China oder Russland. In den vergangenen Monaten habe es international eine starke Zunahme von Cybersabotage gegeben. Aber auch normale Bürger seien zunehmend von kriminellen Umtrieben im Cyberraum betroffen. Cybersicherheit gehe immer mehr Menschen etwas an, aber immer weniger könnten das Thema durchdringen.
BKA-Chef Holger Münch mahnte: „Wir dürfen den Tätern im digitalen Raum nicht zu Fuß hinterherlaufen.“ Die Ausstattung und das Knowhow bei der Polizei müssten mithalten können. „Auch im Recht dürfen wir nicht stehen bleiben.“ Außerdem sei es wichtig, dass die Gesellschaft sich die Gefahren stärker bewusst mache und Cyber-Delikte öfter angezeigt würden. Bislang treffe eine große „digitale Verwundbarkeit“ auf eine große „digitale Sorglosigkeit“.
Mit der Digitalisierung der Gesellschaft nehme die Internetkriminalität insgesamt zu, sagte Münch. Im vergangenen Jahr habe die Polizei bundesweit gut 82 000 Fälle von Cyberkriminalität registriert. Dies seien jedoch nur die bekannten Fälle. Das Dunkelfeld sei groß. Im Internet ließen sich heute alle möglichen Instrumente für Cyberattacken und andere Delikte kaufen. „Sie können Sicherheitslücken kaufen, gestohlene Daten erwerben“, sagte Münch. Botnetze für größere Cyberattacken ließen sich dort mieten. Die Angebote seien zum Teil auch sehr günstig. „Die Folge ist, dass sich auch viele konventionelle Kriminalitätsbereiche ins Netz verlagern.“