Wirtschaft erinnert Geld-Umverteiler an ihre Wahlzusagen
Die Unternehmen begleiten die Groko-Sondierungen mit einer massiven Kampagne für deutliche Steuersenkungen.
Berlin. 45 Milliarden Euro bis Ende 2021, so groß ist der finanzielle Spielraum einer neuen Bundesregierung. Mindestens. Schon bei den Jamaika-Sondierungen war diese Zahl genannt worden; auch die Groko-Sondierer gehen von dieser Größenordnung aus. Bloß: Was machen mit dem vielen Geld? Geht es nach der Wirtschaft, wird ein Großteil, wenn nicht alles in Steuerentlastungen für Bürger und Unternehmen gesteckt. Während CDU, CSU und SPD am Montag in der Parteizentrale der Union am zweiten Tag ihrer Intensiv-Gespräche zusammensaßen, startete eine entsprechende Großkampagne.
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) veröffentlichte in mehreren überregionalen Zeitungen Anzeigen. Eine trug den Slogan „Versprochen ist versprochen“. Erinnert wurde damit an die Wahlaussagen von CDU und CSU, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, die Bürger zu entlasten und die Lohnkosten zu senken. Ein anderes Motiv zeigte SPD-Chef Martin Schulz mit erhobenen Händen und dem Satz: „Finger weg vom Geld der Bürger“. INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr sagte unserer Redaktion zur Begründung: „Wir wollen Union und SPD daran erinnern, dass jetzt nicht die Zeit ist, sich neue Ausgaben auszudenken und die Bürger für teure Wahlgeschenke bezahlen zu lassen.“
Die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie mit sieben Millionen Euro jährlich finanzierte Lobby-Organisation verweist auf eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), wonach es bis 2021 einen Spielraum von 52 Milliarden Euro gibt. Und der solle zu 41 Milliarden für den Komplettabbau des Solidaritätszuschlages und zu 11,5 Milliarden für eine Einkommenssteuerreform genutzt werden, zu der Länder und Gemeinden weitere 15 Milliarden Euro beisteuern sollen. Macht zusammen rund 68 Milliarden Euro Entlastung. Den erforderlichen Investitionsbedarf in Infrastruktur oder Digitalisierung will die INSM durch den Verkauf von Staatsbeteiligungen decken: Weitere 18 Milliarden Euro.
Das alles geht weit über die 15 Milliarden Euro Steuerentlastung hinaus, die Union und SPD bisher als Entlastung versprochen haben. Die SPD will im Gegenzug Gutverdiener höher besteuern. Gezielt dagegen verstärkte am Montag die Industrie- und Handelskammer ihre Lobbyarbeit. Sie verschickte ein Argumentationspapier an die Unterhändler, das unserer Redaktion vorliegt. Darin heißt es, auch ohne Steuererhöhungen gebe es für die neue Bundesregierung Spielräume.
Genannt wurden sogar 75 Milliarden Euro. DIHK-Präsident Eric Schweitzer verwies darauf, dass wichtige Länder, allen voran die USA, ihre Unternehmenssteuern gesenkt hätten: „Wenn wir in dieser Situation nicht ins Hintertreffen geraten wollen, müssen wir den steuerlichen Rahmen für Unternehmen hierzulande ebenfalls verbessern“, so Schweitzer auf Anfrage.
Über das Thema Finanzen verhandelt bei den Sondierungen eine Arbeitsgruppe, der der geschäftsführende Finanzminister Peter Altmaier (CDU), Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) angehören. Einigkeit herrscht bisher darüber, wieder einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen und den Soli schrittweise abzuschaffen. Zudem soll der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst später greifen, ab 60.000 statt ab 53.700 Euro Jahreseinkommen wie bisher.
Weitere Details wurden nicht bekannt. Einen Rüffel von Unions-Fraktionschef Volker Kauder zog sich bei diesem Thema Sachsens neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu. Er hatte bei seinem Eintreffen zu den Verhandlungen gesagt. „Mir gefällt die Grundtonalität, die derzeit herrscht, nicht so sehr. Wir reden sehr viel über Geld-Ausgeben.“ Diese Kritik, so Kauder, sei nicht berechtigt.