Wissenschaft streitet über neue Regeln gegen Fälscher
Berlin (dpa) - Die Plagiatjäger haben es auf bekannte Politiker wie jetzt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) abgesehen, doch treffen sie die ganze Wissenschaftsgemeinde ins Herz.
„Die Plagiatsfälle beunruhigen die Wissenschaft in ganz erheblichem Ausmaß“, sagt Michael Hartmer, Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbands, der Nachrichtenagentur dpa. „Sie schaden der Reputation der Wissenschaft in Deutschland.“
Vor allem die Vorwürfe gegen Ex-Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) brachten die Wissenschaft auf Trab. Sie überarbeitete ihre Regeln für gute wissenschaftliche Arbeit von 1998 - und debattiert derzeit hart und kontrovers über wirksame neue Schritte.
Die veröffentlichten Plagiatsfälle zeigten, „dass das System der Qualitätssicherung der Wissenschaft zumindest in diesen Fällen versagt hat“, sagt Hartmer zur Brisanz des Problems. „Es trifft die Wissenschaft in ihrem eigenen Anspruch: die Suche nach der Wahrheit mit redlichen Mitteln.“ Auch sind mit Promotion und Doktortitel handfeste Vorteile in Wirtschaft und Gesellschaft verbunden. Nach den jüngsten Skandalen haben viele Universitäten begonnen, sich mit neuer Software, Schulungen oder neuen Vorschriften gegen Täuschungsversuche zu wappnen.
„Ein neuer Akzent wird auf Prävention gelegt, das heißt gute wissenschaftliche Praxis im Studium einzuüben und verbindlich in die Lehre einzubinden“, sagt Sabine Behrenbeck vom Wissenschaftsrat über die reformierten Leitlinien. Große Bedeutung kommt auch den Ombudspersonen zu, die inzwischen fast jede Universität hat. Sie sind Ansprechpartner und Schlichter bei einem Fälschungsverdacht. Unklar ist, wie viele Fälle von Fehlverhalten es überhaupt in Deutschland gibt.
Plagiatjäger machen ihren gesichteten „Fang“ gerne anonym publik, sorgen für Schlagzeilen - und für einen ramponierten Ruf des Betreffenden. Doch wie öffentlich oder vertraulich sollen all die anderen Verfahren sein? „Es gibt einen Markt und Auftragnehmer, um Prominente und Konkurrenten zu beschuldigen“, sagt Behrenbeck. „Konkurrenten wurden so schon systematisch weggemobbt.“ Sowohl für Hinweisgeber als auch für Beschuldigte ist zunächst Vertraulichkeit der Ombudsarbeit ein wichtiger Schutz, denn es gibt auch zu Unrecht Verdächtigte.
Wissenschaftliches Fehlverhalten umfasst neben der Übernahme fremder Texte ohne Kennzeichnung auch falsche Autorenschaften und gefälschte Daten. Aus Sicht der Wissenschaft sind nicht Plagiate bei Promotionen das Hauptproblem, sondern Datenfälschungen oder „Datenhübschungen“, wie der Ombudsmann für die Wissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Prof. Wolfgang Löwer, sagt. Die Folgen seien viel gravierender für den Erkenntnisstand.
Wie besorgt die Wissenschaft über die Unehrlichkeit in den eigenen Reihen ist und nach Gegenmitteln sucht, zeigte sich kürzlich wieder auf einer Tagung des Wissenschaftsrats in Berlin. „Intensiv wurde darüber diskutiert, ob Betreuung und Begutachtung besser getrennt sein sollten“, berichtet Behrenbeck. Denn Betreuer könnten wegen zu großer Nähe zum Prüfling befangen sein. Strittig ist ferner, ob ein Professor aus Qualitätsgründen nur eine bestimmte Anzahl von Doktoranden betreuen sollte oder die Kandidaten eine Eidesstattliche Erklärung abgeben müssen, dass sie ihre Dissertation selbst geschrieben haben.
Uneinigkeit herrscht auch in der Frage einer Verjährung solcher Verfehlungen. „Der Deutsche Hochschulverband wird nicht für eine Amnestie votieren können“, betont Hartmer. Für Löwer kann es nur um Verjährung beim Entzug des Titels gehen. Gute wissenschaftliche Praxis ist nicht gleichbleibend, sondern unterliegt technischen Veränderungen wie dem Internet.