Wulff macht Weg für längere Atomlaufzeiten frei

Der Bundespräsident hat in der Atom-Frage reinen Tisch gemacht: Wulff sieht keine Verfassungsbedenken gegen die längeren Laufzeiten und die Ausbootung der Länder. Die Opposition will nun nach Karlsruhe ziehen.

Berlin (dpa) - Längere Atom-Laufzeiten, eine Milliarden-Steuer für die Konzerne und Enteignungen bei der Endlagersuche: Bundespräsident Christian Wulff hat das umstrittene schwarz-gelbe Gesetzespaket zur Energiepolitik unterschrieben.

SPD-Länder kündigten am Mittwochabend umgehend Verfassungsklage in Karlsruhe an, weil der Bundesrat umgangen wurde. Umweltschützer warfen Wulff vor, sich als „Präsident der Konzerne“ geoutet zu haben. Nach dem grünen Licht aus dem Präsidialamt könnte es in Deutschland noch bis mindestens 2035 Strom aus Atomkraft geben.

Das Staatsoberhaupt habe „nach intensiver und sorgfältiger Prüfung aller verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte“ die vier Gesetze des Energie- und Klimapakets der schwarz-gelben Regierungskoalition ausgefertigt, teilte das Bundespräsidialamt in Berlin mit.

Die fünf SPD-geführten Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland- Pfalz, Bremen, Brandenburg und Berlin wollen nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Sie wehren sich dagegen, dass die Regierung die längeren Laufzeiten ohne Zustimmung des Bundesrates beschlossen hat - in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr hat.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sagte in Mainz: „Wir haben immer gesagt: Wenn diese Gesetze in Kraft treten, dann klagen wir vor dem Bundesverfassungsgericht - und das werden wir jetzt tun.“

Nach dem schwarz-gelben Gesetzespaket können nun zum 1. Januar die längeren Atomlaufzeiten von durchschnittlich 12 Jahren für die 17 deutschen Kernkraftwerke in Kraft treten. Das gilt auch für die neue Kernbrennstoffsteuer, mit der die Regierung von den vier Atomkonzernen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall jährlich 2,3 Milliarden Euro kassieren will.

Die Atomkraftgegner hatten bis zuletzt gehofft, Wulff werde seine Unterschrift verweigern. Das Präsidialamt erklärte: „Der Bundespräsident ist nach intensiver und sorgfältiger Prüfung aller verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte zu dem Ergebnis gekommen, dass rechtliche Gründe einer Ausfertigung dieses Gesetzes nicht entgegen stehen.“

Der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, kritisierte die Atom-Pläne scharf. Schuld sei aber nicht Wulff, sondern die schwarz-gelbe Bundesregierung. Nach Ansicht der meisten Verfassungsexperten hätte der Bundesrat dem Gesetz zustimmen müssen. Die SPD werde ihre Klage Anfang 2011 einreichen. „Ich bin optimistisch, dass wir das Gesetz damit zu Fall bringen können.“

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth erklärte: „Bundespräsident Wulff geht ein hohes Risiko ein, wenn er ein Gesetz unterzeichnet, das verfassungsrechtlich mehr als bedenklich ist. Und es ist schon sehr fragwürdig, wenn ein Bundespräsident Wulff anders entscheidet, als es ein Ministerpräsident Wulff immer vertreten hat. Noch als niedersächsischer Regierungschef hatte er eine Zustimmung des Bundesrats und eine Mitsprache der Länder bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten stets gefordert.“

Der Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer warf dem Präsidenten vor, sich als Präsident der Konzerne entpuppt zu haben. „Die endgültige Entscheidung fällt aber nicht in Berlin, sondern in Karlsruhe.“ Der Energieversorger EnBW begrüßte die Zustimmung Wulffs: „Nun haben wir diesbezüglich die notwendige Planungssicherheit, insofern sind wir zufrieden.“

Mit der bis 2016 befristeten Kernbrennstoffsteuer und dem neuen Klima- und Energiefonds will der Bund rund 30 Milliarden Euro - etwa 50 Prozent der erwarteten Zusatzgewinne der Konzerne aus den längeren Laufzeiten - abschöpfen. Weil die Konzerne die Aufwendungen als Betriebsausgaben absetzen können, fürchten Länder und Kommunen Ausfälle von jährlich 500 bis 600 Millionen Euro bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer. Stadtwerke fürchten, dass die Marktmacht der Stromriesen zementiert wird.

Nach Ansicht der Regierung musste der Bundesrat den Gesetzen nicht zustimmen. Die Opposition betont dagegen, längere Laufzeiten bedeuteten Zusatzaufgaben für die Atomaufsicht in den Ländern, weil Nachrüstungen abgenommen werden müssten.

Die längeren Laufzeiten für die Atommeiler waren besonders umstritten und ein Wahlkampfversprechen von Union und FDP. Die sieben bis 1980 ans Netz gegangenen Meiler sollen nun 8 Jahre Laufzeit mehr bekommen, die zehn übrigen 14 Jahre mehr. Die im Schnitt 12 Jahre längeren Laufzeiten könnten sich im Einzelfall deutlich nach hinten verschieben - je nach Drosselung, Stillstand und Übertragung von Reststrommengen. Rot-Grün hatte vor rund zehn Jahren entschieden, dass Deutschland etwa 2020/22 aus der Atomkraft aussteigt.

Bei der Endlagersuche sind als letztes Mittel auch wieder Enteignungen vorgesehen, da einige Grundstücksbesitzer in Gorleben nicht verkaufen wollen und so der darunter liegende Salzstock nicht erkundet werden könnte. Die Regierung will in den nächsten Jahren prüfen lassen, ob der Salzstock in dem niedersächsischen Ort geeignet ist als Endlager für hoch radioaktiven Atommüll.