Zehntausende beim Katholikentag in Mannheim
Mannheim (dpa) - Die tiefe Krise der Kirche und der Ruf nach Reformen bestimmen den 98. Katholikentag in Mannheim. Im Alltag bestehe oft eine große Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und Lebenswirklichkeit vieler Katholiken.
„Unsere Kirche ist nur dann eine dienende Kirche, wenn sie mit mehr Sensibilität und Barmherzigkeit auf die Lebenssituation der Menschen eingeht“, heißt es in einem zum Auftakt veröffentlichten Aufruf des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).
Verbesserungen sind laut ZdK etwa für Menschen nach Scheidung und Wiederheirat überfällig. Sie dürften nicht an der Eucharistie (Abendmahl) teilnehmen und fühlten sich „von ihrer Kirche verlassen“. Ähnlich gehe es konfessionsverschiedenen Paaren. ZdK-Präsident Alois Glück kritisierte zudem die „bedrückende“ Entwicklung zu immer größeren Kirchengemeinden im Zuge des Priestermangels. Im „Mannheimer Aufruf“ fordern die Laien auch den Zugang von Frauen zu kirchlichen Führungspositionen. Vertreter des Klerus lehnten dies umgehend ab.
Der fünftägige Katholikentag, bei dem 33 000 Dauerteilnehmer und etwa ebenso viele Tagesgäste „Einen neuen Aufbruch wagen“ wollen, begann am Mittwoch mit einer bunten Feier. Am Donnerstag folgte ein stimmungsvoller Open-Air-Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt mit 17 000 Gläubigen. Anschließend begann die inhaltliche Arbeit. Dazu sind 1200 Veranstaltungen geplant.
Die Halbschwester von US-Präsident Barack Obama beklagte auf einem Podium eine tiefe Kluft zwischen Afrika und Europa. „Es findet kein richtiger Dialog der Kulturen statt“, kritisierte die Soziologin Auma Obama aus Kenia. Viele im Westen hätten häufig keine Ahnung über Afrikaner und Muslime, wohl aber eine Meinung, die von Vorurteilen geprägt sei.
Unionsfraktionschef Volker Kauder äußerte sich besorgt über die Lage der christlichen Minderheit in Ägypten, er befürchtet eine Einschränkung ihrer Religionsfreiheit. „Es steht auf der Kippe, ob aus dem Arabischen Frühling ein Arabischer Winter wird.“
Viele Veranstaltungen sind geprägt von den Problemen in der katholischen Kirche, die in Deutschland 24,7 Millionen Mitglieder zählt und seit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals 2010 in ihrer wohl schwersten Krise der jüngeren Zeit steckt. Kritische Initiativen haben ein Alternativprogramm organisiert. Sie werfen dem Katholikentag vor, strittige Themen auszulassen oder nur oberflächlich zu streifen.
Glück wies das zurück: „Wir wollen den partnerschaftlichen Dialog, wir wollen nicht die Konfrontation.“ Der Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki stellte in Aussicht, dass die katholische Kirche auf längere Sicht ihre strikte Haltung gegenüber Schwulen und Lesben aufweichen könnte.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, räumte ein, dass viele Gläubige von ihrer Kirche enttäuscht seien. Da der Katholikentag - der alle zwei Jahre vom ZdK organisiert wird - kein Parteitag mit Beschlüssen sei, erwarte er Anregungen für die weitere Arbeit der Gremien und Bischöfe. „Wir wollen uns von Gott gemeinsam den Weg zeigen lassen. Wir kennen ihn noch nicht.“ Er verfolge das Ziel, wiederverheirateten Katholiken die Teilnahme an der Eucharistie zu ermöglichen. Dazu brauche es freilich langen Atem.
Neben innerkirchlichen Debatten geht es auch um gesellschaftliche Fragestellungen wie nachhaltiges Wirtschaften und Klimawandel. Glück warf der Politik vor, zentrale Zukunftsfragen zu verdrängen und sich in „Wohlfühldebatten“ zu verlieren. Zollitsch sagte: „Unser Lebensstil ist nicht zukunftsfähig. So kann es nicht weitergehen.“ Der Ruf nach immer mehr Wirtschaftswachstum sei nicht das richtige Rezept gegen die Ungerechtigkeiten auf der Welt.
Papst Benedikt XVI. rief die Teilnehmer des Katholikentages in einer aus Rom überbrachten Grußbotschaft zu einem „neuen Mut des Glaubens“ auf. „Auch unser Land braucht einen neuen missionarischen, apostolischen Aufbruch.“ Der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner äußerte sich kritisch zur Veranstaltung. Es fehle „die katholische Mitte, bei der man die Verbundenheit und Einheit von Papst, Bischof, Priestern und dem Volk Gottes spürt“, sagte er der „Kölnischen Rundschau„ und dem Bonner „General-Anzeiger“. Zum Motto meinte Meisner: „Nicht die Kirche, die Gläubigen müssen aufbrechen.“
Mannheim will sich als guter Gastgeber präsentieren. An vielen Stellen in der Rhein-Neckar-Stadt weisen Fahnen, Plakate und überdimensionale rote Rucksäcke, die den Aufbruch symbolisieren sollen, auf das Glaubensfest hin. Zu erkennen sind etliche Besucher an orangenen Schals, die überall von Helfern angeboten werden.