Zusatzversicherung: Große Nachfrage beim „Pflege-Bahr“

Mehr als 332 000 Verträge abgeschlossen. Kritiker bemängeln, dass Billig-Policen am Bedarf vorbeigehen.

Berlin. Elf Monate nach dem Start des sogenannten „Pflege-Bahr“ erlebt die staatlich geförderte Zusatzversicherung einen Boom. Zurzeit würden pro Arbeitstag 1600 Verträge abgeschlossen, teilte der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) mit. Der scheidende Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte Freitag in Berlin: „Es war richtig, dass erstmals auch viele Menschen mit Vorerkrankungen nun eine private Versicherung abschließen können.“

Doch zugleich hielt die von Anfang an massive Kritik an dem Konstrukt an. Völlig offen ist, wie Union und SPD mit diesem umgehen. Die SPD hatte die geförderte Zusatzversicherung im Wahlkampf abschaffen wollen. Beide Seiten beraten Sonntag über die Pflege.

Die jüngsten Zahlen zeigten einen starken Anstieg, berichtete der PKV-Verband. Kurz nach dem Start der Versicherung gegen das Pflegerisiko waren es im Januar 2013 noch rund 240 und im Juni rund 1000 neue Verträge pro Arbeitstag. Bahr sagte, klar sei, dass es wie bei der Riester-Rente seinerzeit einige Zeit bis zum Erfolg dauert.

Beim sogenannten „Pflege-Bahr“ wird die Fünf-Euro-Zulage pro Monat bezahlt, wenn der Versicherte einen Mindestbeitrag von zehn Euro schultert. Risikozuschläge und Gesundheitsprüfungen sind nicht zulässig.

Kritik: Zu wenig Beratung, zu wenig Leistung

PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach sagte: „Angesichts der stark steigenden Nachfrage rechnen wir damit, dass die geförderte Pflegezusatzversicherung im nächsten Jahr die stolze Marke von einer Million Verträge erreichen wird.“ 270 000 abgeschlossene Verträge, für die bereits Geld fließe, gebe es bisher — und 62 600 zwar unterschriebene Verträge, die aber erst beginnen.

Die geförderte Zusatzversicherung wird laut PKV-Verband besonders stark von jungen Leuten im Alter zwischen 25 und 35 Jahren abgeschlossen.

Berater Timo Voß vom Bund der Versicherten führte den Anstieg bei den Verträgen darauf zurück, dass sie nach dem Gießkannenprinzip ohne angemessene Beratung verschickt würden. „Hier werden am Bedarf vorbei billige Produkte verkauft“, sagte er. Jene mit hohem Pflegerisiko würden sich in den Tarifen sammeln. Das lasse die Beiträge steigen. Die Leistungen fielen wohl geringer aus als nötig.

Der Pflegeexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Dieter Lang, sagte: „Wir sollten den ,Pflege-Bahr’ auslaufen lassen.“ Auch die Stiftung Warentest wies Freitag darauf hin, dass der „Pflege-Bahr“ häufig nur einen Teil der Pflegekosten abdecke. Bei den geförderten Produkten blieben oft finanzielle Lücken, die der Versicherte aus eigener Tasche bezahlen muss.