Ukrainekrieg Kehrtwende in Russland - Ukraine kann weiter Getreide exportieren

Moskau/Istanbul/Kiew · Nachdem Moskau zuletzt das Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine ausgesetzt hatte, legt Russland nun eine Kehrtwende hin und tritt wieder in das Abkommen ein.

Russland tritt wieder in das Abkommen zum sicheren Transport von Getreide und anderen Lebensmittel aus der Ukraine in die Welt ein.

Foto: dpa/Khalil Hamra

Erst am Samstag setzte Russland das für die Welternährung wichtige Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine aus. Als Grund gab der Kreml Drohnenangriffe auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim an. Nun vollzieht Moskau unerwartet eine Kehrtwende.

Moskau/Istanbul/Kiew (dpa) - Nach massiver internationaler Kritik an einer neuen Getreideblockade steigt Russland nun doch wieder in das Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine ein. Die Schiffe mit Weizen, Mais und anderen Lebensmitteln sollen demnach weiter über einen sicheren Korridor im Schwarzen Meer fahren können. Moskau gab als Grund für die Kehrtwende an, schriftliche Sicherheitsgarantien von Kiew erhalten zu haben, dass der Seekorridor nicht für Kampfhandlungen genutzt werde. Der Korndeal ist wichtig für den Kampf gegen den Hunger in der Welt.

Russland hatte das Abkommen am Samstag ausgesetzt unter dem Vorwurf, die Ukraine nutze das Schwarze Meer für Angriffe gegen Russland. Kiew warf Moskau daraufhin eine neue Getreideblockade wie zu Beginn des russischen Angriffs gegen die Ukraine vor.

Dank der Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen habe die Ukraine zugesichert, den Seekorridor und die Häfen nicht für Kampfhandlungen gegen Russland zu nutzen. Das sei für den Moment ausreichend, um das Abkommen zu erfüllen, hieß es in Moskau. Der prominente russische Außenpolitiker und Duma-Abgeordnete Leonid Sluzki begründete das Einlenken Moskaus damit, keine Lebensmittelkrise und Hunger in den Entwicklungsländern zuzulassen.

Die Transporte würden noch am Mittwoch fortgesetzt, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der am Vortag mit Kremlchef Wladimir Putin über das Abkommen gesprochen und ihn wohl von der Kehrtwende überzeugt hatte. Lieferungen sollten vornehmlich ärmere Länder zum Ziel haben. Dagegen teilte eine UN-Sprecherin des Koordinierungszentrums in Istanbul der Deutschen Presse-Agentur auf Nachfrage mit, dass am Mittwoch keine Schiffe in dem Korridor unterwegs sein würden.

Außenministerin Annalena Baerbock nannte die Wiederaufnahme im Gespräch mit der „Welt“ einen „Ausdruck dafür, wie stark der internationale Zusammenhalt ist“. Russland habe erneut versucht, „Hunger als Waffe einzusetzen“. Aber die Weltgemeinschaft unter Führung der Vereinten Nationen habe deutlich gemacht: „Nein, wir glauben euren Lügen nicht“, sagte Baerbock.

Russland hatte nach den Drohnenangriffen auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim das Abkommen am Samstag überraschend ausgesetzt. Grund waren nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die „Terroranschläge“ auf die Schwarzmeerflotte in Sewastopol. Das Ministerium warf der britischen Marine vor, die Anleitungen zum Beschuss der Halbinsel mit Drohnen gegeben zu haben. Dabei wurde nach russischen Angaben auch ein Minenräumschiff beschädigt. Großbritannien wies die Vorwürfe zurück.

Die Kehrtwende Moskaus zeige immerhin, dass Putin in gewissem Maße ein rationaler Politiker bleibe und auch nachgeben könne, meinte die russische Analystin Tatjana Stanowaja. „Der Kreml geriet selbst in die Falle und wusste nicht, wie er da wieder rauskommen soll. Den Deal haben sie zwar ausgesetzt, aber sie wussten am Ende nicht, wie sie die Getreideausfuhr stoppen können“, so die Expertin. Russland habe die Getreideschiffe nicht beschießen wollen.

Der UN-Koordinator für die Ausfuhr des ukrainischen Getreides, Amir Abdulla, begrüßte die Wiederaufnahme des Abkommens. „Ich freue mich darauf, wieder mit allen Parteien der Initiative zusammenzuarbeiten“, teilte er via Twitter mit.

Russland hatte davor schon seit Wochen mit einem möglichen Stopp des Kornabkommens gedroht, durch das seit Sommer wieder ukrainische Lebensmittel auf den Weltmarkt kommen. Vor allem stört sich Moskau weiter daran, dass es selbst im Zuge der westlichen Sanktionen nicht in gewünschtem Umfang Getreide und Düngemittel exportieren kann.

Kremlsprecher Dmitri Peskow betonte am Mittwoch erneut, dass die Beseitigung dieser Hindernisse zentral sei für das Fortbestehen des Abkommens, das vorerst bis 19. November gilt. „Das ist integraler Bestandteil des Deals“, betonte Peskow. Es gebe weiter Probleme.

Für die Ukraine ist der russische Wiedereinstieg ein Teilerfolg in dem seit mehr als acht Monate dauernden Krieg. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte bereits in den vergangenen Tagen, dass Russland die Durchfahrt der mit Getreide beladenen Schiffe blockiere. Er betonte die Bedeutung dieser Lieferungen für die Bekämpfung des Hungers in der Welt.

Obwohl der Krieg die Exporte weiter behindere, habe die Ukraine seit dem Inkrafttreten des Getreideabkommens Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Seeweg ausgeführt, hatte Selenskyj unlängst gesagt. 60 Prozent der Menge seien nach Afrika und Asien gegangen. Laut UN-Angaben wurden im Rahmen des Abkommens insgesamt fast 10 Millionen Tonnen Waren transportiert.

Das Welternährungsprogramm (WFP) sprach nach Russlands Einlenken von einer guten Nachricht für Hungernde auf der Welt. „Für Millionen Notleidende weltweit sind diese Schiffe Hoffnungsträger, die Leben retten können“, sagte Martin Frick, Leiter des Berliner Büros der UN-Organisation, der Deutschen Presse-Agentur. Seit der Unterzeichnung des Abkommens im Sommer habe das WFP mehr als 220 000 Tonnen Weizen von ukrainischen Häfen aus für Hungernde in Afghanistan, Äthiopien und Jemen abtransportiert. Weitere 160 000 Tonnen sollten bald folgen.

Im Juli hatte Russland unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei den Getreideausfuhren zugestimmt, aber stets auch gedroht, die auf vier Monate angelegte Vereinbarung platzen zu lassen. Im Abkommen hat sich Russland zur Beendigung der Blockade ukrainischer Seehäfen für den Getreideexport bereiterklärt, forderte aber im Gegenzug Erleichterungen für die eigene Ausfuhr von Dünge- und Lebensmitteln. Russland und die Ukraine sind beide große Getreideexporteure, die mit den Ausfuhren Milliarden verdienen.

(dpa)