Der eigene Boom bedroht Bonn
Der alte Regierungssitz erlebt einen ungeahnten Zuwachs an Arbeitsstellen. Dadurch entfällt aber der Grund für die höchst aufwändige Pendelei tausender Beamter nach Berlin.
Düsseldorf. Die Diskussion um den endgültigen Umzug der Bundesministerien von Bonn nach Berlin bricht zuverlässig nach dem Kalender aus: Es ist immer wieder ein beliebtes Thema in der Sommerpause. Doch die Einschläge für die Stadt Bonn kommen näher. Jahrelang konnte sie mit der überparteilichen Rheinland-Lobby kaltlächelnd auf das Bonn-Berlin-Gesetz verweisen.
Darin wird der alten, provisorischen Hauptstadt als Bundesstadt der Verbleib von einem großen Teil der Verwaltung zugesichert. Damit sollte verhindert werden, dass Bonn durch die Verlagerung in arge wirtschaftliche Probleme gerät. Doch das Gegenteil ist eingetreten, wie jetzt eine erste eigene Studie der Bundesregierung belegt.
Seit dem Weggang der Bundesregierung sind in Bonn 49000 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden - ein Zuwachs von elf Prozent, deutlich über dem NRW-Schnitt von 7,2 Prozent.
Dazu hat auch die Verlagerung von Bundesbehörden (Kartellamt, Bundesamt für Finanzaufsicht) nach Bonn beigetragen, aber auch die Ansiedlung von UN-Nebenstellen im Rheinland. Und: Immer noch arbeiten mehr Beamte in Bonn als in Berlin, das Verhältnis beträgt 9148 zu 8726.
Von den 14 Ministerien haben sechs immer noch ihren Hauptsitz in Bonn, alle anderen noch eine Nebenstelle. Alleine die Kosten für die Zugfahrten und Flüge zwischen Bonn und Berlin liegen bei neun Millionen Euro jährlich, dazu kommen laut Steuerzahlerbund noch Arbeitszeitausfälle im Gegenwert von fünf Millionen Euro.
Die Bonn-Freunde halten dem die immensen Kosten entgegen, die für den Neubau oder die Erweiterung der Ministerien nötig wären, die sich doch jetzt schon in ihrem - beschnittenen - Zustand in der Hauptstadt eingerichtet haben. Bis zu vier Milliarden Euro müssten fließen, um den Komplettumzug zu stemmen, wird dort geraunt.
Die Streiter für die rheinische Sache sind durchweg einflussreich: Zu ihnen zählt der Bonner Guido Westerwelle (FDP), der Pulheimer Jürgen Rüttgers (CDU), der Kölner Volker Beck (Grüne) und auch die Mülheimerin Hannelore Kraft (SPD). Sie sagte unserer Zeitung: "Der alte Beschluss steht. Die Zusammenarbeit der Ministerien funktioniert." Ähnlich äußert sich die Staatskanzlei von Rüttgers: "Das Bonn-Berlin-Gesetz gilt. Damit auch alle Abmachungen."
Doch auch wenn der Westen in dieser Sache Beton anrührt: In Berlin wächst der Wunsch nach einer richtigen, weil kompletten Hauptstadt im gleichen Maße, wie die neue Generation von Politikern ohne Bonn-Vergangenheit das Sagen hat.
Grundlage des derzeitigen Spagats ist zwar das Bonn-Berlin-Gesetz. Doch das könnte auch ganz schnell geändert werden, heißt es mittlerweile in mehreren Fraktionen.
Gerade auch durch den Umweltgesichtspunkt und die Klimadiskussion könnte die Diskussion eine neue Dynamik bekommen. Schließlich ist nun belegt, dass die Pendelei zu einem immensen Kohlendioxid-Ausstoß führt. Das ist ein neues Argument für alle Berlin-Freunde, der Doppelregelung den Todesstoß zu geben.
Allerdings sind alle Ministerien auf Gedeih und Verderb auf die Leistungskraft ihrer Beamten angewiesen. Und da gibt es erhebliche Beharrungskräfte. Die Zahl der Ministerialen, gerne männlich und in der Regel älter als 50, ist in der rheinischen Republik groß geworden und will die Pension lieber im beschaulichen Bad Godesberg als im schrillen Kreuzberg erleben. Sie haben sich dem Umzug verweigert. "Aber das ist ein auslaufendes Problem", heißt es im Finanzministerium.