NRW Die NRW-Grünen und ihre Scheu vor der Schulpolitik
Die Rückkehr zu G 9 beschäftigt am Sonntag den Landesparteirat. Der Grünen Jugend ist das zu wenig.
Düsseldorf. Es war beim Landesparteitag der NRW-Grünen im vergangenen Sommer in Dortmund. Die herbe Wahlniederlage lag gerade anderthalb Monate zurück, Ermutigung war gefragt. Und der damalige Landesvorsitzende Sven Lehmann stellte schon für Ende 2017 eine öffentliche Veranstaltung zur Neuausrichtung der grünen Schulpolitik in Aussicht — ausgerechnet bei dem Thema, das viele für die Wahlschlappe verantwortlich machten.
Neun Monate später ist von diesem Mut, das heikle Thema sofort wieder anzupacken, nicht mehr viel auszumachen. Die angekündigte Veranstaltung hat es bis heute nicht gegeben, nur eine interne Tagung der Landtagsfraktion mit kommunalen Schulpolitikern. Beim Landesparteirat, dem kleinen Landesparteitag der Grünen, steht am kommenden Sonntag in Bochum zwar erstmals wieder Schulpolitik auf der Tagesordnung. Aber der vorliegende Antrag des Landesvorstands ist nur eine Reaktion auf die von der neuen CDU/FDP-Landesregierung geplante Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren (G 9).
„Es gibt bei den Grünen eine erhebliche Angst, die Schulpolitik zu thematisieren“, konstatiert Tim Achtermeyer, seit vergangenem November einer von zwei Vorsitzenden der Grünen Jugend NRW. „Dabei ist Schule eines der wenigen sozialpolitischen Themen, die noch auf Landesebene entschieden werden.“ Die Partei müsse dazu Visionen entwickeln und dürfe sich „nicht nur reaktiv an der Landesregierung abarbeiten“.
Der Parteinachwuchs hat bei seiner Landesmitgliederversammlung Mitte März dazu einen ersten Aufschlag gemacht. In dem Beschluss wird Schwarz-Gelb vorgehalten, den NRW-Schulkonsens aufzukündigen, wonach alle Schulformen gleichrangig behandelt werden sollen. Stattdessen würden gesellschaftspolitische Aufgaben wie Inklusion und Integration von den Gymnasien auf die anderen Schulsysteme delegiert. Die Grüne Jugend fordert kompetenzorientiertes Lernen, weniger Frontal- und mehr begleitenden Unterricht durch die Lehrer.
Achtermeyer versteht den Beschluss als parteiinterne Debatteneröffnung. „In der Berufswelt gibt es längst Gleitzeit, flexible Arbeitsplätze und keine starren Abläufe mehr. In der Schule findet sich das alles nicht wieder.“ Es müsse eine gedankliche Öffnung hin zu mehr Individualisierung stattfinden. Bisher seien die Lehrer „bei der individuellen Förderung auf sich allein gestellt“, heißt es in dem Beschluss der Grünen Jugend.
Die Zuständigkeit für Schulpolitik im grünen Landesvorstand hat der neue Vorsitzende Felix Banaszak übernommen. Der G 9-Antrag für den Landesparteirat sei „mitnichten das Ende unseres bildungspolitischen Prozesses“, versichert er. Zum Landesparteitag im Juni in Troisdorf will er einen Arbeitsplan zum Thema Schulpolitik vorlegen. „Das wird ein groß angelegter Prozess der innerparteilichen Beteiligung bis in die Kreisverbände hinein, aber auch unter Einbindung externer Akteure aus Praxis und Forschung.“
Drei Punkte sollen dabei laut Banaszak eine Rolle spielen: die selbstkritische Analyse der bisherigen grünen Schulpolitik, die Auseinandersetzung mit Fehlentwicklungen in der Bildungspolitik der schwarz-gelben Landesregierung, vor allem aber die Formulierung einer „Bildungspolitik des 21. Jahrhunderts, die Schülerinnen und Schüler auf die neuen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen vorbereitet“.
Zeit will sich die Partei dafür nehmen. Die Frage ist, wie viel davon sie noch hat. Die Grüne Jugend verweist auf die Landtagswahl 2022. Banaszak denkt sogar schon an die NRW-Kommunalwahlen 2020: „Die zentralen Fragen sollten bis Mitte 2019 geklärt sein.“