Hochrangige türkische Juristen fliehen nach NRW
Ein Verfassungsrichter und der Generalsekretär des türkischen Bundesgerichtshofs haben Asyl in Essen beantragt und sind in Wuppertal untergekommen. Diplomatenverfahren läuft.
Wuppertal. Unter den Repressionen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan leiden seit Juli vergangenen Jahres längst auch die türkischen Gerichte. Wie groß die Not der Staatsdiener selbst in den höchsten Ämtern ist, verdeutlicht jetzt dieser Fall: am vergangenen Mittwoch hat ein Verfassungsrichter des türkischen Verfassungsgerichts in Begleitung seiner Frau und zweier minderjähriger Kindern in einer Essener Erstaufnahmeeinrichtung Asyl in Deutschland beantragt. Die Familie wurde zunächst nicht in der Erstaufnahmeeinrichtung in Essen untergebracht, sondern ist bei Bekannten in Wuppertal untergekommen. Das geht aus Unterlagen hervor, die unserer Zeitung vorliegen.
Der 43 Jahre alte Richter legte demnach ein „grünes Passdokument“ und zahlreiche Fotos vor, die ihn als Richter in der Robe des türkischen Verfassungsgerichts zeigen. Das Verfassungsgericht ist der türkische Staatsgerichtshof mit Sitz in Ankara. Es ist Teil der Gerichtsbarkeit der Türkei und vergleichbar mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Es handele sich um einen Richter, der 2012 bereits am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tätig gewesen sei, so die Einschätzung der Behörden in NRW.
Zusammen mit dem Verfassungsrichter hat am Mittwoch auch der Generalsekretär des Bundesgerichtshofs der Türkei in Essen um Asyl gebeten. Der 50-Jährige legte ebenfalls gültige Papiere und seinen Dienstausweis des türkischen Bundesgerichtshofs in Kopie vor. Wegen der herausragenden beruflichen Position der beiden türkischen Juristen sollen die Asylsuchenden jetzt in das sogenannte Diplomatenverfahren aufgenommen werden. Im Rahmen einer sogenannten Überquotenbuchung sollen der Verfassungsrichter, seine Familie und der Generalsekretär des Bundesgerichtshofs in NRW verbleiben dürfen — und so schnell wie möglich einer Kommune in NRW zugewiesen werden.
Im Normalfall wäre der Gang der Dinge ein anderer: Asylsuchende werden nach Ankunft in einer vom Land betriebenen Erstaufnahmeeinrichtung innerhalb weniger Tage oder Wochen nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt, um die Lasten angemessen zu verteilen. Die Zuweisungsquote orientiert sich an der Einwohnerzahl und dem Steueraufkommen des Bundeslandes. Demnach wäre nicht sicher, dass die türkischen Juristen in Nordrhein-Westfalen bleiben können. Eine endgültige Entscheidung darüber trifft in NRW generell die Bezirksregierung in Arnsberg, die mit dem Fall bereits befasst ist. Außerdem ist wegen der erhöhten Gefährdungslage der Betroffenen der Verfassungsschutz informiert, die Abteilung Staatsschutz des Polizeipräsidiums Essen ist bereits mit der Angelegenheit befasst. Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 und dem Referendum in diesem Jahr haben sich die Arbeitsbedingungen für Juristen in der Türkei dramatisch verschlechtert. Erdogan geht hart gegen Anwälte und Justizbedienstete vor, die in den Verdacht geraten sind, den Prediger Fetullah Gülen zu unterstützen, der von der türkischen Regierung beschuldigt wird, der Drahtzieher des Putsches zu sein.