Sondersitzung in Düsseldorf Jäger zum Fall Amri: "Sind an die Grenzen des Rechtsstaates gegangen"
Düsseldorf. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat am Donnerstagmittag in einer Sondersitzung des Innenausschusses im Düsseldorfer Landtag die Arbeit aller Behörden im Fall des Berlinattentäters Anis Amri verteidigt.
Sie seien "an die Grenzen des Rechtsstaates gegangen". Insgesamt sieben Mal sei Amri auf der Tagesordnung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums (GTAZ) gewesen. Er sei seit dem 17. Februar 2016 als Gefährder eingestuft gewesen. Das, erklärte LKA-Direktor Dieter Schürmann, sei aber eine "polizeiinterne Einstufung" und bringe keine zusätzlichen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden mit sich.
Das Landeskriminalamt NRW habe aber ein Verfahren wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat beim Generalbundesanwalt angeregt. Die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin habe daraufhin wegen des Verdachts auf Beteiligung an einem Tötungsdelikt gegen den Tunesier ermittelt. Doch eine sechs Monate währende intensive Überwachung habe den Verdacht nicht untermauern können.
Es habe nie konkrete Hinweise auf die Planung eines Anschlags gegeben. "Drohgebärden", so Schürmann, seien typisch für die 549 Gefährder, aber nicht zwingend mit der konkreten Absicht eines Anschlags gleichzusetzen. Parallel sei ausländerrechtlich versucht worden, den Gefährder so schnell wie möglich außer Landes zu bringen. Auch nach der Ablehnung seines Asylantrages - die beschleunigt worden sei - sei eine Abschiebung aber nicht durchführbar gewesen.
Tunesien habe die Staatsbürgerschaft Amris zunächst geleugnet. Und weil zu erwarten gewesen sei, dass die Passersatzpapiere für den 24-Jährigen auch nach dem Nachweis seiner Identität auf sich warten lassen würden (diese Verfahren dauern laut Ministerium sechs bis 14 Monate), habe man auch die Grundlage für eine Abschiebehaft nicht gehabt. Staatssekretär Bernhard Nebe erklärte zudem, die rechtlichen Voraussetzungen für Meldeauflagen für den Gefährder seien nach dem Aufenthaltsgesetz nicht erfüllt gewesen.
Diese wären ohnehin nicht sinnvoll gewesen, sondern hätten lediglich Amris sehr konspiratives Verhalten verstärkt, das den Ermittlern ihre Arbeit erschwert habe. Mit insgesamt 14 Identitäten sei Amri in Deutschland angemeldet gewesen - dazu habe er die Schwierigkeiten bei der Registrierung von Flüchtlingen während der großen Zuwanderungswelle 2015 genutzt. Die ausländerrechtliche Verantwortung für Amri lag bis zuletztin NRW - vor allem weil man einem weiteren Zeitverzug durch eine Übertragung nach Berlin vorbeugen wollte.
Jäger machte deutlich: "Auf Terrorfahndern lastet ein enormer Druck." Durch ihre und die Arbeit der Behörden seien in Deutschland zwölf Anschläge in jüngerer Vergangenheit verhindert worden.
Die Opposition im Landtag ließ die Erklärungen allerdings nicht gelten. Peter Biesenbach (CDU) sagte, das "dichte Profil", das man über Amri angelegt habe, habe dessen Gefährlichkeit eindeutig belegt. Wie man darauf komme, die Voraussetzungen für eine Abschiebungsanordnung seien nicht erfüllt gewesen, sei ihm " ein Rätsel". Jäger antwortete, der entsprechende Paragraf aus dem Jahr 2005 stelle so hohe Anforderungen, dass er "faktisch nicht anwendbar" sei - so sei er in Deutschland auch tatsächlich noch in keinem Fall zum Einsatz gekommen, das Bundesinnenministerium habe schon 2006 Änderungsbedarf festgestellt. Der Minister plädierte dafür, jetzt zu überprüfen, ob die Voraussetzungen angepasst werden könnten.
Joachim Stamp von der FDP forderte Jäger auf, die politische Verantwortung für die Fehleinschätzung von Amris Gefährdungspotenzial zu übernehmen - ohne allerdings dessen Rücktritt zu fordern. "Dann hätten Sie meinen Respekt", sagte er.
Seine Fraktion will zudem eine unabhängige Expertenkommission, um die Lücken in der Arbeit der Behörden aufzuarbeiten. Selbst Jägers aus eigener Fraktion kamen kritische Nachfragen zur scheinbaren Machtlosigkeit des Rechtsstaates: "Muss man schon im LKW sitzen, damit der Staat handeln kann?" Jäger antwortete, die Absichtserklärung, sich eine Waffe besorgen zu wollen, habe jedenfalls nicht gereicht. "Was die Behörden wussten, war Hörensagen. Das reicht in einem Rechtsstaat nicht, um jemanden in Haft zu bringen."