Analyse Was Minister Stamp aus dem Fall Anis Amri gelernt hat
Innenminister Jäger warf der jetzige Integrationsminister vor, nicht an die Grenze des Rechtsstaats gegangen zu sein — er will das jetzt anders machen.
Düsseldorf. Anderthalb Jahre ist es her, dass sich die NRW-Politik zum letzten Mal intensiv mit einem Gefährder und der Frage befasst hat, was rechtlich zulässig und geboten war, um ihn zu stoppen. Damals ging es um Anis Amri. Im Fadenkreuz: NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Seither ist viel passiert. Die Landesregierung hat gewechselt und mit ihr der zuständige Minister. Und dieser, Joachim Stamp von der FDP, generiert sich im Fall Sami A. jetzt als eine Art „Anti-Jäger“.
Nachdem Amri, der in Nordrhein-Westfalen als Gefährder bekannt gewesen war, auf dem Berliner Weihnachtsmarkt elf Menschen getötet und viele verletzt hatte, tagte im Düsseldorfer Landtag der Innenausschuss in Sondersitzungen bis in die Nacht, wurden Zeugen im Untersuchungsausschuss vernommen. Und fast bis zum Wahltag rissen die Rücktrittsforderungen gegen Innenminister Jäger nicht ab — der den Namen Amri zum ersten Mal am Tag nach dem Anschlag gehört haben wollte und stets wiederholte, der Rechtsstaat sei bei der Verfolgung des Gefährders „bis an seine Grenzen“ gegangen. Tatsächlich aber wurden Versuche, ihn in Untersuchungs- oder Abschiebehaft zu bringen, nicht unternommen, weil man nicht glaubte, dass sie rechtlich Bestand haben würden.
Anderthalb Jahre später spricht der zuständige Minister bei der Sondersitzung im Landtag zum Fall Sami A. nicht von den Behörden, anderen Bundesländern und „man“. Er sagt „ich“. Joachim Stamp erklärte wörtlich: „Deshalb habe ich alle Anstrengungen unternommen, um endlich die Voraussetzungen für eine Rückführung in sein Heimatland zu schaffen.“ Und nicht nur einmal betonte er, für den Ablauf die volle Verantwortung zu übernehmen.
Rechtsstaatlicher Grenzgang von Stamp
Aber nicht nur rhetorisch und im Habitus will Stamp anders sein als sein Vorgänger, der durch Aufarbeitungsprozesse wie Amri und Loveparade hindurch stur auf seinem Stuhl saß und Rücktrittsforderungen — im Fall Amri kamen diese auch von Stamp selbst — an sich abprallen ließ. Er will tatsächlich im Umgang mit Gefährdern an die Grenzen des Rechtsstaates gehen. Wenn nötig bis auf einen Millimeter.
Was vielen nun aufstößt, ist ja nicht, dass ein nach Meinung der Sicherheitsbehörden ausgebildeter Terrorhelfer, der mit Gewalt in Deutschland gedroht hat, weg ist. Sondern der Eindruck, Stamps Ministerium sei einer Gerichtsentscheidung zuvorgekommen. Ein korrekter Eindruck. Es bedeutet nur nicht, dass die Ausweisung auch zwingend rechtswidrig war. So erklärte Stamp auf Nachfrage der SPD in dieser Woche auch selbstbewusst, aber natürlich habe er vom Eilverfahren gewusst. Nur eben am Morgen der Abschiebung nicht von einem Urteil.
A. saß seit dem 25. Juni in Abschiebehaft, doch er und seine Anwältin stellten keinen Eilantrag, um die Abschiebung zu untersagen. Dieser hätte sofort verhindert, dass er am 13. Juli an Bord eines Flugzeugs ging — kurz bevor der Entscheid des Gerichts zugestellt wurde. Auf den Stamp natürlich hätte warten können, um sich selbst und die Maßnahme abzusichern. Aber das tat der „Anti-Jäger“ nicht. Man kann unterstellen: Bewusst nicht. Das kleine Zeitfenster, das er sah, um A. außer Landes zu bringen, hätte sich geschlossen — sein rechtsstaatlicher Grenzgang hätte weit vor dem Ziel geendet. Dass es so nicht gekommen ist, dürfte eine direkte Lehre aus dem Fall Amri sein.