Medizin-Studienplatz auch ohne Einser-Abitur - So kämpft NRW um junge Landärzte
NRW will Ärzte zurück aufs Land bringen. Auch wer kein Überflieger-Abitur hat, soll Medizin studieren — wenn er oder sie später in einer unterversorgten Region praktiziert.
Düsseldorf. Es ist eine Mischung aus Alarmruf und beherztem Gegensteuern: NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) weiß, dass schon viel zu viel Zeit vergangenen ist, um jetzt mit einem einzigen Kraftakt das Ruder herumzuwerfen. Das Problem: in ländlichen Regionen gibt es immer weniger Ärzte. Er selbst, so sagt der Westfale Laumann, lebe in einer Gemeinde mit 6500 Einwohnern, in der es nur einen einzigen Arzt gibt. Da wisse er, was das in der Versorgung der Menschen und auch für den letztverbliebenen Arzt bedeutet: „Das sind unhaltbare Zustände“, sagt Laumann. Daran müsse man jetzt endlich etwas ändern.
Der Gesundheitsminister will das Problem mit dem soeben vom Landeskabinett verabschiedeten Gesetzentwurf für eine Landarztquote angehen: Ein Teil der in Nordrhein-Westfalen vergebenen Medizinstudienplätze soll nicht mehr streng nach Numerus Clausus und damit nach einem Einser-Notendurchschnitt im Abitur vergeben werden. Eine bestimmte Quote soll für diejenigen reserviert sein, die sich verpflichten, nach Studium und Facharztausbildung als Hausarzt für zehn Jahre in einer bislang unterversorgten Region zu arbeiten.
Ein Bundesland kann nur einen kleinen Teil der Vergabe der Studienplätze abweichend vom üblichen Numerus-Clausus-Verfahren regeln. Schon bislang dürfen bis zu 20 Prozent der Studienplätze über sogenannte Vorabquoten vergeben werden. Dabei geht es um Studienplätze, die etwa für ausländische Staatsangehörige oder im Sanitätsoffiziersdienst der Bundeswehr vergeben werden. Oder um außergewöhnliche Härtefälle. 7,6 Prozent und später dann zehn Prozent sollen demnächst als Vorabquote auf diejenigen Mediziner entfallen, die sich bereit erklären, aufs Land zu gehen — in medizinisch unterversorgte Regionen. Dabei geht es um knapp 170 Studienplätze pro Studienjahr.
Noch handelt es sich nur um einen Gesetzentwurf der Regierung, dieser muss noch durch den Landtag. Nach den Plänen soll die neue Vorabquote für Studenten, die später Landarzt werden wollen, ab dem Studienbeginn im Wintersemester 2019/20 gelten.
Wenn für diesen Personenkreis nicht die üblichen Hürden des sehr guten Notendurchschnitts im Abitur gelten sollen, müssen andere Kriterien her. Zwar soll auch das Gymnasiums-Zeugnis weiterhin eine Rolle spielen, aber eben nicht mehr ausschließlich. So kann auch eine 2,5 oder 3,0 gegebenenfalls ausreichen, wenn der Bewerber Erfahrung mitbringt — durch Berufsausbildung oder ein früheres Engagement in der Pflege oder als Sanitäter. Noch sind die genauen Kriterien nicht ausgearbeitet, sie sollen aber transparent gemacht werden.
Mit dem Auswahlverfahren soll das Landeszentrum für Gesundheit betraut werden. Auch Bewerber von außerhalb Nordrhein-Westfalens sollen berücksichtigt werden. Aber auch für sie gelten die strikten Bedingungen: Sie müssen sich verpflichten, später in einer ländlichen Region mit Hausarztmangel tätig zu werden.
Nun könnte ein weitsichtiger Interessent ohne guten Abi-Durchschnitt auf die Idee kommen, auf diese Weise an den begehrten Medizinstudienplatz zu kommen und dann nach der Ausbildung doch in eine Großstadtpraxis zu ziehen. Doch dagegen steht der von ihm vor Studienbeginn zu unterzeichnende Vertrag: Wer nicht zehn Jahre auf dem Land bleibt, der muss eine Vertragsstrafe bezahlen. Diese werde „empfindlich“ sein, sagt Laumann. Wie empfindlich? Sie werde im Verhältnis zu den Kosten eines Medizinstudiums stehen. Und was kostet ein Medizinstudienplatz? Eine Viertel Million Euro, ergänzt einer von Laumanns Ministeriumsmitarbeitern. Auf diese Summe will sich Laumann nicht festnageln lassen, sagt aber auch: „Für 150 000 Euro tun wir’s nicht.“ Damit scheint klar, dass man böswillige Trickser jedenfalls nicht billig davonkommen lassen wird.
Auch der NRW-Gesundheitsminister weiß, dass es noch rund zehn Jahre dauern wird, bis sein Plan Wirkung entfaltet. Die nun angesprochene Medizinergeneration muss ja zunächst einmal die Ausbildung durchlaufen. Aber eben darum sei es höchste Zeit. Bis dahin setzt Laumann mit Blick auf das Landarztproblem auch noch auf weitere Ansätze.
Das schon seit dem Jahr 2009 geltende Hausärzteprogramm soll zielgenauer werden. Es soll auf kleinere Kommunen mit bis zu 25 000 Einwohnern beschränkt werden. Wer sich hier als Arzt niederlässt oder als Arzt angestellt wird, kann eine maximale Fördersumme von 60 000 (bisher 50 000) Euro erhalten.
Und noch eine weitere Maßnahme soll Mediziner aufs Land locken. Es werde Verträge zwischen Ärztekammern und Krankenkassen geben, sagt Laumann. Dabei geht es um „lebensältere“ Ärzte, die sich vorstellen können, dem Krankenhaus den Rücken zu kehren, um eine auf zwölf Monate verkürzte Weiterbildung in der Allgemeinmedizin zu machen. Ärzte die in der Weiterbildung sind, sollen statt bisher 5700 Euro demnächst 9000 Euro bekommen, wenn sie später in einem unterversorgten Gebiet als Hausarzt tätig werden.