Rundfunkrat tagt: Der verpasste Wechsel beim WDR
Am Freitag tagt der Rundfunkbeirat und tut wieder so, als kontrolliere er den WDR. Stattdessen soll nun das Publikum besser erzogen werden.
Köln. Wären der Rechercheverbund „Correctiv“ und der „Stern“ in diesem Frühjahr mit ihren Enthüllungen über die „#metoo-Affäre“ des WDR, bei der es neben sexueller Belästigung auch um strukturellen Machtmissbrauch geht, nur wenige Wochen schneller gewesen — sie hätten vielleicht nicht nur dem Land NRW, sondern allen ARD-Sendern eine fatale „Weiter so“-Entscheidung ersparen können. Denn nicht einmal dem Rundfunkrat des WDR wäre es dann noch möglich gewesen, Tom Buhrows Vertrag als Intendant ohne Ausschreibung und ohne Gegenkandidat trotz erschütternd mittelmäßiger Arbeitsbilanz vorzeitig um weitere fünf Jahre zu verlängern.
Von keiner Ahnung der Vorgänge im Sender getrübt, hatte der offenbar geruchsunempfindliche Vorsitzende der Anstalts-Aufseher, der frühere Chef des DBG in NRW, Andreas Meyer-Lauber, die ambitionslose Wiederwahl mit dem Hinweis begründet: „Man soll die Socken nicht während des Laufens wechseln.“ Außenstehende, die zum ersten Mal an einer Rundfunkratssitzung des WDR teilnehmen, reagieren regelmäßig verstört auf die deprimierend-komische Sehnsucht der Anstalts-Aufseher, dem Intendanten zu gefallen statt ihn zu kontrollieren, und ihm sogar stehend zu applaudieren.
Geschieht nicht noch ein Wunder, bleibt Tom Buhrow nicht nur bis 2025 WDR-Intendant, sondern übernimmt 2020 auch für zunächst zwei Jahre den ARD-Vorsitz. Für die Verhältnisse im Rundfunkrat kommt es schon fast einer Sensation gleich, dass die Verlängerung der Verträge von WDR-Hörfunkdirektorin Valerie Weber und WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn von der Tagesordnung der Juni-Sitzung gestrichen und bis auf weiteres verschoben wurden.
Weber und Schönenborn waren vor fünf Jahren Buhrows erste Personalentscheidungen; im Sender streiten sie bis heute, welche die unglücklichere war. Mit Weber, einer lupenreinen Privat-Funkerin, verließ der WDR zum Entsetzen seiner Mitarbeiter den Kurs, die Radio-Entwicklung in Deutschland mit eigenen Ideen, eigenen Konzepten und eigenen Leuten voranzutreiben. Seit Webers Amtsantritt werden die sechs Wellen vergleichsweise stramm formatiert sowie auf Kosten-Effizienz und Durchhörbarkeit getrimmt. Was das öffentlich-rechtliche Profil einer Boulevard-Welle wie WDR2 sein soll, ist selbst früheren Moderatoren ein Rätsel, nicht einmal die Nachrichten sind noch wirklich „live“. Mit Schönenborn dagegen setzte der WDR — wie auch mit Buhrow selbst — die unheilvolle Tradition fort, journalistische Talente ohne die nötige Vorbereitung mit Führungsposten zu belohnen, denen sie nur mit viel Glück gewachsen sind.
Die „Tagesthemen“-Legende Hanns Joachim Friedrichs (1927-1995) lobte im letzten Interview vor ihrem Tod den gebürtigen Solinger Schönenborn noch über den grünen Klee: „Mir machen solche Leute Hoffnung wie der ARD-Reporter nach dem Brandanschlag in Solingen, so ein junger Mann, der heißt Jörg Schönenborn, der hat in zehn Minuten ohne Blatt und ohne irgendeine erkennbare Vorbereitung alles gesagt, was man zu diesem Zeitpunkt zum Thema Solingen sagen konnte. Fabelhaft. Den kannte keine Sau, der saß als junger Mann im Studio Wuppertal, wo nun wirklich nichts passiert, und weil Solingen bei Wuppertal liegt, ist der zu seiner Chance gekommen.“
2002 stieg Schönenborn zum Chefredakteur auf, 2013 auf Buhrows Wunsch zum Fernsehdirektor. Als Chefredakteur hatte Schönenborn mit mindestens einem Fall aus der „#metoo-Affäre“ des Senders zu tun und beförderte laut „Spiegel“ einen Beschuldigten auf eine Korrespondentenstelle. Bislang stellt sich der Sender auf den Standpunkt, die Anschuldigungen hätten damals weder entkräftet noch belegt und somit nicht abschließend aufgeklärt werden können. Da es keine Belege gegeben habe, habe man den Beschuldigten als unbescholten betrachten müssen.
Schönenborn, dessen Vertrag wie der Webers noch bis April 2019 läuft, kann nur hoffen, dass das auch am Ende der von Buhrow angeschobenen Aufklärungsarbeiten herauskommt. Eine Empfehlung für eine Vertragsverlängerung sieht anders aus. Bis heute flüchtet Schönenborn bei jeder Gelegenheit vom Schreibtisch vor die Kamera; nicht immer mit Erfolg (Putin 2013 im Interview: „Wie heißen Sie übrigens?“), mit seiner Kaputt-Kommentierung der Antisemitismus-Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt — Der Hass auf Juden in Europa“ und der anschließenden Demontage der zuständigen Redakteurin (vorzeitiger Ruhestand ohne Abschied) setzte er einen Tiefpunkt der Sendergeschichte.
Inhaltlich steht der Fernsehdirektor für ein senderintern als „Schönenborn-Identity“ verspottetes Programm der Harmlosigkeit, in dem Tamina Kallert mit Sehnsuchtsblick „Wunderschön: Unser irgendwas“ präsentiert und Yvonne Willicks sich vor Begeisterung kaum einkriegt, wenn sie ihre eigenen Hauswirtschaftstipps versteht. In diesem belanglosen Programm ist der WDR-Innovations-Knaller des Jahres ein mäßig gemachte Kopie der ZDF-Vormittagssendung „Volle Kanne“.
Am Freitag wird Buhrow dem Rundfunkrat voraussichtlich darlegen, wie erfolgreich die neue Sendung ist. Der Rundfunkrat wird wie üblich klatschen, die Erfüllung der WDR-Programmrichtlinien feststellen und den WDR mit einem jährlichen Auftragsvolumen von über 100 Millionen Euro als einen der wichtigsten Partner der deutschen Film- und Fernsehwirtschaft feiern.
In Sachen der „#metoo-Affäre“ haben sowohl der Intendant als auch der Rundfunkrat längst begonnen, den WDR nicht für die tatbegünstigende Institution, sondern das Opfer böser Feinde zu halten. „Ich gebe zu: Es gab eine Phase, als es in der Öffentlichkeit eskalierte, da fühlte ich mich und den WDR nicht gerecht behandelt. Da hatte ich das Gefühl, man kann gar nichts richtig machen“, sagte Buhrow vergangene Woche in einem Interview mit einer Gewerkschafts-Zeitschrift.
Zuvor hatten die Mitglieder des Runkfunkrats bereits ausdrücklich bedauert, „dass alle festen wie freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WDR, die durch ihre Arbeit wertvolle Beiträge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und damit für die Gesellschaft leisten, der anhaltenden Negativ-Berichterstattung über ihre Rundfunkanstalt ausgesetzt sind.“
Für die äußere Welt und Wirklichkeit sind die Verweigerer des Sockenwechsels im Inneren ihrer Anstalt offenbar kaum noch erreichbar. Im April ist die x-te Frist abgelaufen, die die Ministerpräsidenten der Länder den Intendanten von ARD und ZDF für die Vorlage eines Konzepts zu einer grundlegenden Strukturreform gesetzt haben. Der derzeitige ARD-Vorsitzende, der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, antworte in einem NDR-Magazin mit Konfrontation: Er glaube nicht, dass die Politik spürbar an den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender gehen und damit die Angebote kürzen werde. „Die Politik wird abwägen, wie intensiv das Publikum diese Programme nutzt. Alle unsere Studien und auch objektive Messungen von dritter Seite zeigen, wie verwurzelt die Programme in der Bevölkerung sind“, so Wilhelm.
Das ist in Teilen reines Wunschdenken. Der „Tagesspiegel“ zitierte Anfang des Monats eine Civey-Umfrage, laut der 42 Prozent der Deutschen nicht freiwillig für ARD und ZDF zahlen würden. Aber: 19,4 Prozent könnten sich einen Betrag zwischen sechs und zehn Euro vorstellen, 13,7 Prozent zwischen einem und fünf Euro. Das sollte die Intendanten eigentlich nachdenklich stimmen, vor allem mit Blick auf die europäische Entwicklung. Stattdessen verlangen ARD und ZDF unverdrossen mehr Geld, während das Bundesverfassungsgericht demnächst wohl mindestens einen Teil ihres Gebührenmodells kippen wird.
Die Richter ließen schon während der Verhandlung erkennen, dass sie unter anderem in dem Beitrag pro Wohnung eine Ungleichbehandlung erkennen könnten. Statt juristischer Argumente trugen die Sendervertreter gebetsmühlenartig ihre Rechtfertigung vor, der Rundfunkbeitrag sei die Grundlage ihrer Unabhängigkeit, und das Vertrauen der Nutzer in die Angebote von ARD und ZDF sei hoch. Im Mai haben die Einwohnermeldeämter begonnen, den aktuellen Wohnungsbestand an die frühere GEZ zu übermitteln, damit der „Beitragsservice“ Zahlungsverweigerern auf die Schliche kommen kann.
Was tut die Politik? Macht sie den Sendern Druck? Nicht in NRW. Hier lädt die SPD heute (5. Juni, 18.45 Uhr, Plenarsaal des Landtags) zu einem „Landtagstalk“ über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Dabei ist das Ziel allerdings ein anderes, wie der Einladung zu entnehmen ist: „Inwiefern lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse nutzen, um das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nur für eine funktionierende gesellschaftliche Öffentlichkeit, sondern auch für eine moderne demokratische Gesellschaft zu schärfen?“
Auf Kurs gebracht werden soll also nach Auffassung der NRW-SPD nicht etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sondern das Publikum. Dazu treten ein Experte einer Berliner Strategieberatung auf, die am öffentlich-rechtlichen Auftragstropf hängt, eine NDR-Journalistin und natürlich WDR-Intendant Tom Buhrow.
Die SPD-Fraktion hat sich nicht einmal aus Alibi-Gründen die Mühe gemacht, irgendeinen „Medienkritiker“ hinzuzuladen. Stattdessen macht sich die SPD-Landtagsfraktion zum Mitklatscher einer auf sechs Wochen angelegten Image-Kampagne, die die ARD aus Beitragsgeldern für den Sommer plant, um die Beitragszahler vom „gesellschaftlichen Wert“ und der „Verbundenheit“ des Programms mit dem Publikum zu überzeugen. Betonen will die ARD dabei den „public value“, den öffentlichen Wert ihrer Sender.
Ähnliches hat das ZDF schon 2006 mit einer Broschüre versucht, die auf den Titel „Der Wert des ZDF für die Menschen in Deutschland“ hörte. Der damalige Intendant Markus Schächter betonte darin nicht nur, wie konstitutiv das öffentlich-rechtliche Fernsehen „für das Funktionieren unserer Demokratie“ sei: „Als Medium und Faktor von Kultur kommt ihm zudem eine herausragende Rolle für die Ausbildung der nationalen Identität zu.“ Wir ahnen: Auch die ungewechselte Socke gehört zu Deutschland.